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Zwei Freunde, ein Krieg

von Phillip Krüger.

 


 Es ist ein heißer Morgen im Frühsommer 1914. Wie jeden Morgen auch wache ich, Ernst, im Haus meiner Eltern auf. Heute will ich meinem besten Freund einen Brief schreiben. Sein Name ist Raphael, er ist nur ein Jahr älter als ich, 18. Seine Familie zog vor vielen Jahren nach Frankreich, deswegen können wir uns nur über Briefe austauschen. Nachdem ich den Brief fertig geschrieben habe, trete ich auf die trockenen, grauen Straßen von Osnabrück, in Richtung Postamt. Ich hoffe, der Brief erreicht Raphael zeitnah. Einige Zeit später sehe ich einen Brief im Briefkasten, der an mich adressiert ist. Von Raphael, denke ich mir, doch der Absender stimmt nicht. Ich mache den Brief auf und überfliege ihn. Dort steht, dass ich in die Armee muss. einige Tage später melde ich mich bei meinem nächsten Armeestandpunkt zum Dienst. Bis jetzt dachte ich, dass ich nur dort bin, um herauszufinden, ob ich in die Armee passe. Bis jetzt. Denn nun komme ich in einen großen Raum mit anderen jungen Erwachsenen. Die Stimmung ist angespannt. Nach einer Weile kommt ein wichtig aussehender Mann in Uniform zu uns. Schlagartig ist es im ganzen Raum still. Er fängt an darüber zu reden, dass Krieg herrscht und jedes Zögern Verrat am Vaterland sei. Jeder von uns war begeistert und wollte sofort in den Krieg ziehen. Danach drückte man uns Uniformen in die Hand, die wir anziehen sollten. Etwas später sitzen wir mit Gewehren in einem Laster, der uns in ein Trainingslager brachte. An einem frühen Morgen im Jahre 1916 sagte man uns, dass wir an die Somme fahren. Die Somme? Ist das nicht ein Fluss in Frankreich? Ich dachte, der Krieg wäre in... Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, wo der Krieg stattfinden würde. Aber in Frankreich? Da fällt mir wieder Raphael ein. Ich war so lange nicht mehr zuhause, war mein Brief schon angekommen? Ist er auch auf dem Weg, um zu kämpfen? Vielleicht sogar gegen... mich? In der Zeit, in der ich mir diese Fragen stellte, sind wir schon angekommen. Man sagt uns, dass wir den Rest des Weges zu Fuß hinter uns bringen müssen. Alle steigen aus dem Laster aus und begannen zu marschieren. Wir sangen motiviert viele Marschlieder und da kamen mir wieder Fragen in den Kopf: Muss er gegen mich kämpfen? Viele aus meiner Einheit mögen die Franzosen nicht, und so frage ich mich: dürfen wir überhaupt Freunde sein? Sind wir jetzt grade noch Freunde? Nach einem langen Marsch kommen wir an. Wir besetzen unsere Posten. Wenig später wurden wir von schwerem Artilleriefeuer überrascht. Viele Soldaten starben und viele Maschinengewehre und Mörser wurden zerstört. Ich habe nur knapp überlebt, aber einige Trümmerteile haben mich getroffen und leicht verletzt. Auf einmal erschienen zahlreiche Flugzeuge über unseren Köpfen, die so niedrig flogen, dass wir die Gesichter der Besatzung erkennen konnten. Kurz darauf kamen scheinbar unendlich viele Französische Soldaten auf uns zu. Wir waren viel zu schwach besetzt, um diesen Horden entgegenzustehen, und so kam es, dass wir noch viel mehr Soldaten verloren haben. Ich habe mit den überlebenden Soldaten den Rückzug angetreten. Als wir wieder in Sicherheit waren, sagte man uns, dass wir woanders gebraucht werden. Wir marschierten gegen Mittag in eine Stadt ein, die kurz vor unserem Eintreffen bombardiert worden war. Die Franzosen starteten, als wir ankamen, einen Angriff. Wir wurden überrascht und mussten uns schnell Deckung suchen. Wir haben versucht, die Franzosen zurückzuhalten, doch es gelang uns nicht. Und so sahen wir wieder keinen anderen Ausweg, als zu fliehen. Dies geschah noch ein paarmal: ankommen, kämpfen, überrumpelt werden, fliehen. Es hatte mich emotional leer gemacht. Ich hatte keine Gefühle mehr, nur noch schießen, laden, schießen, laden. Ich denke nicht mehr an meine Familie, nicht mehr an Raphael. Ich finde mich wieder, auf einem von Artillerie und Mörsern zerstörtem Feld, Gewehr in der Hand, auf die Franzosen zurennend. Ich treffe auf einen Franzosen, ramme ihm mein Bajonett in den Bauch und drücke ab. Er stirbt. Ich ziehe das Bajonett heraus, lade das Gewehr durch und renne weiter, schaue nach rechts und links und sehe meine Kameraden, die genau das gleiche tun. Wir kommen dem französischen Schützengraben immer näher. Ich schieße auf dem Weg

noch auf zwei feindliche Soldaten, die mir entgegenkommen. Wir sind jetzt kurz vor dem Schützengraben. Ich mache eine Granate scharf und werfe sie hinein. Sie explodiert und wirft Erde in die Luft. Ich springe hinab und schieße auf einen Soldaten, der verwundet am Boden liegt und renne mit meinen Kameraden weiter. Wir plündern die Essensvorräte der Franzosen. Da sehe ich noch einen Soldaten am Boden liegen, will ihm mein Bajonett in die Brust rammen, doch da erkenne ich ihn – Raphael. Auf einmal ist alles um mich herum still. Ich stehe hier und sehe meinen besten Freund fast tot auf dem Boden liegen. Bevor ich weiterdenken kann, spüre ich einen scharfen Schmerz in meinem Rücken. Ich drehe mich um, und sehe einen jungen Französischen Soldaten, der mit einem Gewehr und einem blutigen Bajonett vor mir steht, doch er drückt nicht ab. Er sieht genauso schockiert aus wie ich, und wir schauen uns für eine gefühlte Ewigkeit an. Ängstlich sagte er etwas auf französisch und rennt davon. Ich schaue an mir herab, sehe die blutige Austrittswunde seines Bajonetts und sinke neben Raphael auf den Boden. Mir ist bewusst, dass ich sterbe aber ich bin glücklich, dass Raphael bei mir ist. Wir lagen Arm in Arm und langsam wurde alles leise.

 

 

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