von Laura Sandor.
Endlich frei. Weg von meiner Familie und von allem was über mich entscheiden kann. Nun bin ich und nur ich die Einzige, die etwas zu sagen hat und das kann mir keiner mehr nehmen.
„Der größte Teil ist nun geschafft“, spreche ich laut aus und starre auf die hochgestapelten Umzugskartons in meiner ersten, eigenen Wohnung.
Eine ungewöhnliche Stimme rief zu mir „Hallo! Endlich bist du da!“, ein Mitbewohner? Das kann nicht sein, davon hat mir keiner was gesagt. Ach… das habe ich mir bestimmt nur eingebildet, weil ich so aufgeregt bin. Ich kann es wirklich kaum glauben.
Ich mache laute Musik an und fange an, die Umzugskartons auszupacken und alles schön einzuräumen und zu dekorieren. Ab und zu sah ich einen Schatten, ich erinnerte mich an die Stimme, doch ich versuchte mir keine Angst zu machen. Das war nur mein Kopf, redete ich mir ständig ein.
„Vanessa! Mach doch mal eine Pause“, da ist sie wieder. Die Stimme. Ich mache die Musik aus und schaue mich um. Niemand da. Meine Verwirrung versetzt mich in eine Schockstarre. Ich spüre wie mein ganzer Körper pocht und mein Gesicht rot anläuft. Ich glühe. Das kann nicht sein, Vanessa beruhig dich, geh raus, atme. Ich versuche mich selber zu beruhigen, ich steige langsam auf meine Terrasse und schnappe nach Luft. Auf der Straße sehe ich ein paar kleine Mädchen gemeinsam spielen und höre sie schreien „Vanessa komm, lauf schneller“, ein Mädchen dort hieß anscheinend genauso wie ich. Umsonst Panik gemacht. Toll. Ich muss die Stimme von vorhin wirklich vergessen, hier ist niemand außer ich. Ich muss endlich verstehen, dass ich wirklich alleine wohne.
Ein paar Tage vergingen, mittlerweile habe ich mich schon hier eingelebt.
Meine beste Freundin kam zu mir und wir plauderten den ganzen Tag. Sie machte sich sehr spät auf den Weg nach Hause, gegen 02:30 Uhr begleitete ich sie zur Bushaltestelle und war selber erst gegen 03:00 Uhr wieder zurück zu Hause.
Zuhause fühlte ich wieder eine Unruhe, doch ich versuchte das zu ignorieren. Ich hörte Geräusche in der Küche, Schritte um genau zu sein. Die Stimme kam wieder „Hast du auch Hunger, Vanessa?“. Das kann nicht wahr sein. Hier ist wirklich jemand. Ich ging langsam und voller Angst zur Küche. Erstmal sah ich nichts, bis ich in den Spiegel schaute. Eine Person stand hinter mir, er kam mir bekannt vor, obwohl ich ihn noch nie gesehen habe. Es steht gerade ein fremder Typ in meiner neuen Wohnung und ich habe keine Panik? Wie kann das sein? Ich kann das nicht glauben. Wer ist das und was macht er hier?
Ich drehte mich sofort um und konfrontierte ihn mit meinen ganzen Fragen.
„Was machst du hier? Wer bist du? Woher kennst du mich?“, fragte ich ihn hektisch.
Er schaute mich mit großen Augen an und sagte mit einer beruhigenden Stimme „Keine Angst, ich bin nicht das was du denkst, ich bin du.“
WAS!? Was redet er? Was meint er damit? Wie kann er ich sein? Das ergibt alles keinen Sinn. Die Panik steigt nun wieder in mir auf. Ich schaute ihn verstört an und wartete auf eine Erklärung. Ich rief meine beste Freundin per FaceTime an, doch plötzlich war er weg. Er war auf meinem Handy nicht zu sehen und als ich das Licht anmachte ebenfalls nicht. Hab ich mir das grad wirklich eingebildet? Bin ich so müde? Ich legte mich ins Bett, meine beste Freundin ist nicht rangegangen und ich wusste nicht was ich nun machen soll. Ich wusste, dass dies eine schlaflose Nacht wird.
Am nächsten Morgen suchte ich den Typen sofort, doch ich fand nur eine Nachricht: „Du findest mich wieder um 03:33 Uhr“. Ich wartete angespannt bis zu dieser Uhrzeit und setzte mich auf mein Bett, als die Uhr 03:33 Uhr zeigte. Auf einmal tauchte er wieder auf. Er kam aus der Küche und setzte sich neben mich hin.
Er sagte „Ich verstehe deine Verwirrung, aber vertrau mir, wenn ich dir sage, dass du vor mir keine Angst haben sollst. Ich bin hier, um dir zuzuhören und dir zu helfen.“
Ich spürte eine positive Energie, ich wollte ihn fragen, was er hier macht oder wie er hierhergekommen ist, doch er wollte nicht antworten. Er wollte mir nur zuhören. Ich zögerte lange und öffnete mich dann. Ich redete mit ihm über meine Ängste und über Gott und die Welt. Er gab mir wirklich das Gefühl endlich gehört und verstanden zu werden. Nach einem langem Gespräch bin ich eingeschlafen, ich war nun der Meinung, dass er wirklich mein neuer Mitbewohner sei und freute mich bereits auf das nächste Gespräch mit ihm. Ich erzählte meiner besten Freundin von ihm und sie dachte ich werde verrückt, sie ist der Meinung, dass da nie einer gewesen ist, doch ich bin mir wirklich sicher, dass da jemand war. Ich bin sauer auf sie und ging wieder zurück nach Hause.
Viele Wochen vergingen und ich führte jeden Tag Gespräche mit ihm. Mittlerweile war er der Einzige mit dem ich in letzter Zeit geredet habe und der Einzige der mich versteht.
Ich fragte mich immer noch, wie er zu mir gefunden hat und wieso er mir so bekannt vorkam. Doch die Antwort bekam ich in einem meiner Träume.
In meinem Traum erlebte ich den schlimmsten Tag meines Lebens erneut.
Meine toxische Familie hatte wieder einen großen Streit und ließ deren Wut auf mir aus. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade erst sieben Jahre alt. Meine Familie hat mich so unterdrückt und gedemütigt, dass ein Teil in mir gebrochen ist. Seitdem war ich nicht mehr ich selbst. In meinem Traum sah ich genau wie sich ein von mir löste und es sah genauso aus wie der Typ in meiner Wohnung.
Mir wurde sofort klar, was der Typ hier tut und seine Aussage, dass er ich sei verstehe ich auch endlich. Er war wirklich ich. Er war der Teil von mir, den ich durch meine Familie verloren hatte. Kein Wunder, dass er mich so gut verstanden hat und mir so toll zugehört hat, er war ja ich. Das raubt mir den Verstand. Mir wurde klar, dass mich dieser Teil endlich wiedergefunden hat, jetzt wo ich endlich alleine und frei bin.
Ich wachte auf und war voll auf Adrenalin. Ich fand eine Nachricht auf dem Tisch mit der Nachricht „Du hast es verstanden, du brauchst mich nicht mehr“.
Das brachte mich zum Nachdenken.
Mir war klar, dass ich meine Traumata verarbeiten muss. Darüber habe ich nie nachgedacht, denn ich bin eher die Art von Person, die alles mit sich selber regelt.
Ich suchte mir Hilfe und habe wieder Kontakt zu meinen Freunden.
Bis heute bin ich sehr dankbar, dass da passiert ist und nun lebe ich ein glückliches Leben.
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