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Meine Stille

von Roaa Hassan.


Freundschaft. Manchmal ist Freundschaft mehr als nur das Freudige, mehr als nur die Freundschaftsketten und auch mehr als nur das Rausgehen. In coole Restaurants oder coole Aktivitäten tun. Es ist mehr, auch wenn es weniger scheint.

Jeden Mittwoch nach der Schule ging ich zu diesem Park auf eine Bank, die vor dem Wasser war. Eine kleine Wiese war auch noch davor, ich konnte sie beobachten, wie die Menschen vor mir vorbeiliefen, über hundert Menschen, Kinder, Fahrradfahrer alles und obwohl ich da immer saß, fiel mir nur eine Frau auf, eine Frau Mitte sechzig vielleicht auch siebzig. Sie war anders, anders als die andern. Sie war jedes Mal, wenn ich da war in diesem Park. Eine alte Frau ganz alt, aber sie war so – friedevoll; das hört sich ironisch an, aber sie war voller Frieden. Jedes Mal, wenn ich im Park war, war sie da. Jedes Mal. Bestimmt war sie auch öfters da, öfters als ich, ich war nur mittwochs da. Sie war am Wasser, mal auf der Wiese aber nie auf der Bank. Die Bank, wo ich saß. Sie hob auch immer den Müll im Park auf, komisch, aber sie tat es jeden Tag. Es waren meistens nur kleine Stücke und trotzdem tat sie es. Die Zeit verging, der Herbst ging vorbei. Der Winter war zu kalt. Nun war die Dame immer noch da. Nur setze sie sich mal auf die Bank, meine Bank. Sie saß nach drei Monaten das erste Mal mit mir auf der Bank. Verständlich der Boden war nass. Sie konnte da nicht mehr sitzen und Laufen auf nassem Gras war eklig. Bei diesem Wetter würde ich es auch nicht tun. Also saß sie neben mir auf der Bank, wo nur ich war. Im Winter gehen die meisten Menschen nicht raus, weil es kalt ist, kühl, weniger Spaziergänge. Trotzdem war ich da und ich saß, ich saß auf der Bank. Meistens, wenn ich im Park war, hab ich etwas gelesen, Musik gehört, manchmal auch nichts getan, die meiste Zeit nichts getan, aber in der Zeit, wo sie da war hab ich nur nichts getan. Ich fühlte mich irgendwie geborgen. Diese Stille, ihre Stille. Es war so schön, dass sie neben mir saß. Wir haben nie geredet. Sie nickte mich an. Ich nickte sie an. Ein ‚Hallo‘ kam vielleicht einmal aber nur ein ‚Hallo‘, das war’s auch. Ich hatte nie den Mut, sie etwas zu fragen, zu fragen warum sie das tat, auf dem Boden sitzen, Müll sammeln, jeden Tag, alleine, wieso alleine? Obwohl mich das interessierte, schwieg ich, ich genoss das Gefühl sie neben mir zu haben und es schien mir als hätte sie es auch genossen, obwohl sie fast fünfzig Jahre älter war als ich, fand ich das nicht schlimm. Ich fand das angenehm, weil meine Freunde sind zwar toll ich kann mit ihnen lachen. Ich kann mit ihnen weinen aber kann ich auch einfach mal ruhig sein? Einfach nichts tun ohne dass es komisch ist? Meine Freunde kennen mich als laut und lebensfroh aber ruhig sein konnte ich nicht. Ich fühlte mich geborgen bei ihr. Es wurde zu einer Routine. Meiner Routine. Jedes Mal ging ich zu dem Park. Der Winter schien langsam aufzutauen und die Menschen fingen an, öfters spazieren zu gehen. Trotzdem schien es mir so, als ob wir beide unsere Gemeinsamkeit genossen. Wie jeden Mittwoch ging ich in den Park, machte mein Handy aus und wartete, aber dieses Mal kam sie nicht. Ich dachte mir erst mal nichts dabei, weil sie alt ist vielleicht war sie krank oder hatte was zu tun. Na ja, Wochen vergingen und sie war immer noch nicht da. Langsam machte ich mir Sorgen, weil - sie ist ja sechzig oder schon siebzig. Vielleicht ist ihr was zugestoßen oder vielleicht sei sie verstorben und ich würde es nie erfahren. Der Gedanke hat mich mitgenommen, er bringt mich um, besser gesagt, wie kann es sein, dass ich nichts über sie wusste, aber sie mir doch so viel bedeutete. Sie hatte ständig Müll gesammelt, bevor sie sich mit mir auf die Bank gesetzt hatte und ich überlegte. Ich überlegte, wo sie sein kann, und mich nimmt es mit und sie fehlt mir. Ich bin trotzdem jeden Mittwoch gekommen und habe auf sie gehofft aber es fühlte sich falsch an, falsch einfach weiter zu leben, falsch einfach rumzusitzen, weil - das war nicht mehr mein Platz. Das war unser Platz. Ich fing an, ihre Routine aufzunehmen und hab das getan, was sie tat. Mittlerweile ist es April. Das Wetter wurde wieder besser. Ich ging also auch ans Wasser. Ich saß auch manchmal auf dem Gras. Sie war immer noch nicht da. Ich fing auch an den Müll zu sammeln und immer noch, sie war nicht da. Der Park fing komischerweise an, sich anzufühlen wie mein Park, ich verstand wieso sie es tat. Wenn man neben dem Wasser war, sah man die Tiere, das Leben und die schönen Pflanzen noch besser und ich verstand, dass wir Menschen nur Besucher sind. Ich konnte sie nie fragen, warum sie alleine war. Nie, warum sie in dem Park war und warum sie jeden Tag da war, nie. Jetzt verstand ich wieso sie das tat. Ich vermisse sie mehr und mehr. Nachdem ihre Routine meine Routine war, bin ich öfters gekommen nicht nur mittwochs. Ich bin auch Freitag gekommen manchmal auch Samstage, Sonntage aber auch Montage. Schließlich war ich ständig da, sie war immer noch nicht da. Ich akzeptierte es, obwohl ich sie trotzdem jeden Tag vermisste. Ich habe mich ihr noch näher gefühlt, nachdem ich ihre Routine aufgenommen habe. Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen. Ich saß immer noch da, nicht auf der Bank, sondern auf der Wiese, dem Gras, vor dem Wasser. Ich bemerkte, dass ein Mann sich zu mir setzte. Er war fünfundzwanzig vielleicht auch dreißig. Er setzte sich genau neben mich, auf den Boden. Er schaute mich an während ich meine Stille genieße. „Du erinnerst mich an meine Mutter“, sagte er. Ich war verwundert. „Wie bitte?‘‘ fragte ich. Und er erzählte mir, seine Mutter sei jeden Tag in diesen Park gekommen um ihn zu pflegen, sie erzählte ihm immer davon wie schön es sei und dass er auch mal kommen solle. Ich fragte ihn, wieso er sie nie begleitet hat und er erzählte mir er wohnte in Marseille und konnte nicht so einfach kommen. Er sagte, sie war im Krankenhaus zwei Tage vor ihrem Tod und wünschte zu dem Park zu gehen. Die Ärzte konnten sie nicht hinbringen und wussten nicht, dass das ihre letzten Stunden sein würden.

„Ich vermisse sie in letzter Zeit sehr, weshalb ich auch mal in ihren Park gehen wollte um zu sehen was sie sah.“, sagte er und ich weinte. Er sagte mir, sie hatte mich erwähnt. „Sie sagte, sie saß auf der Bank mit einem Mädchen.“ Ich war das Mädchen. Er sagte sie mochte mich und sie fühlte sich wohl. Ich weinte noch mehr.

Das Gespräch ist vierundzwanzig Jahre her mittlerweile bin ich gut befreundet mit ihrem Sohn. Es ist immer noch meine Routine und wenn mich jemand fragt was für mich Freundschaft sei, spreche ich von ihr. Meine Freundin, meine Seelenverwandte.

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