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Muss es anders werden, wenn es besser werden soll?

Ricarda Häschke

Schreibwerkstatt an der Stadtteilschule Lurup zum Thema "DU HAST DIE WAHL" - Sieger der kreativen Gruppe.


Ich sitze am Strand und schaue auf das Meer hinaus. Der Himmel strahlt in verschiedenen Rottönen und die Sonne verschwindet langsam hinter dem Horizont. Man hört das Meer rauschen, doch zugleich umgibt mich auch eine einsame Stille, die meine Gedanken wieder zum Vorschein kommen lässt. Diesen Ort liebe ich sehr. Denn durch diese Stille schaffe ich es meistens meine Gedanken besser zu sortieren.

 

Ich bin jemand, der sehr viel denkt. Manchmal vielleicht auch zu viel, sodass daraus wieder Probleme entstehen, die eigentlich eine vollkommene Irrelevanz mit sich tragen, aber einen Platz in meinen Gedanken finden, da ich alles tausendfach zu überdenken, zu analysieren und zu definieren versuche.

 

Es gibt sehr Vieles, worüber ich nachdenke. Meistens über meine Handlungen und über das, was bestimmte Menschen von mir halten. Ich frage mich auch oft, ob ich vielleicht Chancen übersehe, die direkt vor mir liegen, ich sie jedoch nicht ergreife, weil die Angst, nicht zu wissen, was passieren wird, mich daran hindert.

 

Genau diese Art von Angst, eine Entscheidung zu treffen, die richtig wäre, sich aber überhaupt nicht so anfühlt, beschäftigt mich im Moment.

 

Das ist auch der Grund, weshalb ich hier am Strand sitze. Ich versuche einen klareren Kopf zu bekommen, um mir dann zu überlegen, was ich tun werde.

 

Hierbei geht um eine Person, die ich sehr liebe. Mein ganzer Fokus ist auf diese Person gerichtet und das seit dem ersten Tag, an dem ich sie traf. Doch nichts ist mehr so wie am Anfang und ich gehe langsam daran kaputt und muss anfangen endlich loszulassen. Ich habe erkannt, dass es an der Zeit ist, etwas zu ändern, aber ich schaffe es nicht, mich zu überwinden und eine Entscheidung zu treffen.

 

Ich glaube in jedem Leben gibt es einen Punkt, an dem man sich entscheiden muss. Und zwar zwischen dem, was man braucht und dem, was man will.

 

Wenn eine gewisse Menge an Angst mit in der Entscheidung steckt, ist genau das dann der richtige Weg?

 

Natürlich gibt es diese ganz banalen alltäglichen Entscheidungen, die man relativ unbewusst und mit einer Leichtigkeit fällt.

 

Andere wiederum lassen einen ständig im Kreis drehen, nur um dann festzustellen, dass man immer noch genau dort steht, wo man sich schon befunden hat.

 

Und so ist es auch bei mir. Ich habe Angst etwas zu ändern, obwohl ich vermute, dass es nur besser werden kann, wenn es anders wird.

 

Diese Angst darf nicht die Grundlage für diese Entscheidung sein. Doch was ist, wenn die Angst mich so stark in ihren Bann zieht, dass einfach keine Wahl übrig bleibt, als der Entscheidung auszuweichen?

 

Im Endeffekt kann man sich nie nicht entscheiden. Denn auch der Entscheidung auszuweichen ist eine getroffene Entscheidung.

 

Meistens habe ich zwar eine Ahnung davon, was richtig wäre, doch trotzdem tue ich dann das Falsche. Ich weiß, dass ich vom Weg abgekommen bin, doch trotzdem laufe ich weiter.

 

Bestimmte Dinge wie Handlungen oder das Verhalten in Situationen ändern sich deshalb bei mir nie. Sie wiederholen sich immer und immer wieder. Diesen Teufelskreis aus konstanter Gleichheit interpretiere ich als relativ negativ und auch gefährlich. Denn es bedeutet, dass ich immer noch genauso handle wie zuvor.

 

Damit diese Wiederholungen nicht mehr stattfinden, macht man Erfahrungen, da man dadurch seine Unerfahrenheit mit neuem Wissen füllt. Dieses neu Gelernte sollte dann beim nächsten Mal unsere Entscheidung auf eine gewisse Art und Weise beeinflussen. Und ich denke, es ist immer besser einen neuen Weg einzuschlagen, als das Gleiche noch einmal von vorne beginnen zu lassen.

 

Und genau das ist mein Problem, womit ich mich momentan beschäftige.

 

Denn ich merke, dass ich immer noch die gleiche Angst spüre, eine Entscheidung zu treffen, obwohl ich dachte, ich wäre mit der Zeit stärker und entschlossener geworden. Ich nahm an, dass ich mich geändert hätte und aus den Ereignissen und den daraus entstehenden Erfahrungen etwas gelernt habe.

 

Doch ich realisiere, dass meine Gedanken sich erneut darauf fokussieren, der Entscheidung auszuweichen.

 

Um es einfacher auszudrücken: ich stehe genau an dem gleichen Punkt wie vor einem Jahr.

 

Warum kann ich mich nicht überwinden? Warum fühlt sich das Richtige zu tun so falsch an? Vielleicht weil es viel Kraft und Mut erfordert? Doch wer sagt mir, was jetzt wirklich richtig ist?

 

Natürlich bildet jeder seine Meinung, gestützt auf den eigenen Erfahrungen und der persönlich individuellen Einstellung zum Leben.

 

Doch durch all diese verschiedenen Haltungen meiner Freunde und meiner Familie schwirrt mir nur noch mehr im Kopf herum.

 

Was werde ich nun tun? Mir wird von Tag zu Tag bewusster, dass ich mich diesmal wirklich entscheiden muss.

 

Denn wenn ich dies nicht tue, wird diese Person immer noch die Macht besitzen, über mich zu entscheiden. Dieser imaginäre Faden, wird sich weiter durch mein Leben ziehen und ich werde aus diesem Loch nicht mehr herauskommen. Im Gegenteil: ich befürchte, es würde noch schlimmer werden…

 

Diese Person, um die sich meine Entscheidung dreht, liebe ich sehr stark und ich schaffe es deswegen auch nicht, mich von ihr zu lösen.

 

Hierbei spielt die Angst, endgültig eine Entscheidung zu treffen, eine relevante Rolle. Die Betonung liegt in dem Fall auf dem Wort „endgültig“.

 

Ich habe Angst, diese Person für immer zu verlieren. Wenn ich so darüber nachdenke, was alles passiert ist und wie wir momentan zueinander stehen, habe ich dies eigentlich auch schon längst. Und genau diese Erkenntnis sollte meine Entscheidung doch erleichtern oder? Doch ich will es einfach nicht einsehen.

 

Tief in mir befindet sich ein Hauch von Hoffnung. Diese Hoffnung, vermischt mit der Angst vor Veränderungen, ist eine gefährliche Konstellation, die mich daran hindert, den Kontakt zu dieser Person zu beenden.

 

Ja, diese gewisse Person, die einen so starken Einfluss auf mich hat, heißt Kaleb.

 

Seitdem ich ihn das erste Mal vor drei Jahren traf, wurde ich in einen Bann aus den verschiedensten Gefühlen gezogen, die ich zuvor noch nie erfahren hatte. Das Gefühl der vollkommenen Hingabe und dem bedingungslosen Vertrauen zu ihm, führten zu einer immer größer werdenden Abhängigkeit, die von mir Besitz ergriff.

 

Ich lernte Kaleb vor ungefähr drei Jahren kennen. Noch nie habe ich einer Person so sehr vertraut wie ihm. Zuerst war alles gut, wir konnten uns über Vieles unterhalten und ich verliebte mich von Tag zu Tag mehr in ihn. Immer wenn er etwas erzählte, funkelten seine dunklen Augen so sehr, dass ich mich darin sofort verlor und alles um mich herum ausblendete und vergaß. Es war wie ein Rausch.

 

Diese braunen Augen strahlten warme Geborgenheit, aber zugleich auch eine etwas kühlere, interessante und geheimnisvolle Arroganz und Selbstsicherheit aus.

 

Genau dies mochte ich sehr. Denn ich selbst war ein sehr unsicherer Mensch und das sah man mir auch an…

 

Doch die neue Aufmerksamkeit und Anerkennung, die ich von ihm bekam, stärkten mich sehr.

 

Die ersten Monate waren so unbeschreiblich schön. Wir trafen uns zwar nicht oft, doch schrieben wir uns ständig. Es verging kein Tag, an dem wir keinen Kontakt hatten. Kaleb wurde ein neuer Teil meines Lebens und meines neuen Ichs. Denn er war der erste Junge, mit dem ich Kontakt hatte und vor dem ich keine Angst spürte, etwas zu sagen. Früher war ich ein sehr schüchternes Mädchen, dass sich so gut wie nichts traute und wenig Selbst-wertgefühl besaß.

 

Doch durch Kaleb, der mir einen Anstoß gab, vollkommen im Reinen mit mir selbst zu sein, wurde ich sicherer, glücklicher und mutiger.

 

Doch dann kam der erste Zusammenbruch. Ich bekam eines Tages eine Nachricht von ihm, in der er mir von einem Mädchen erzählte, mit der er wohl noch zusammen sei und das schon seit über zwei Jahren. Der Schock und die Kälte, die mich in dem Moment erfassten, lässt sich kaum in Worte fassen.

 

Die ganze Zeit über, in der er mich kannte, hatte es noch jemanden gegeben.

 

Er erzählte mir, dass er mit ihr gerade einen großen Streit hatte und es sein eigentliches Ziel gewesen war, sich ein bisschen abzulenken. Doch als er merkte, wie sehr ich ihn mochte, fand er es angeblich fair, mir die Wahrheit zu sagen. Fakt war ab dem Zeitpunkt dann, dass er mich nicht liebte, sondern sein Herz einer anderen gehörte.

 

Ich lag im Bett und weinte nur noch. Noch nie hatte ich eine so starke Angst jemanden zu verlieren. Dieser Verlust ließ mich so kraftlos werden und es fühlte sich an, als ob ich einen Teil, der sich in meinem Herzen befand und mich sonst immer mit Wärme füllte, verloren hatte. Statt dieses Drama zu stoppen, ihn zu vergessen und zu versuchen einen neuen Weg zu gehen, entwickelte ich mich zu einer immer naiveren Person, die nicht los- lassen wollte. Trotz seiner Lüge verzieh ich Kaleb und beschloss auf ihn zu warten. „Warten“ bedeutete in dem Fall, dass wir den Kontakt nicht komplett abbrachen und er sich bei mir meldete, falls sein Herz doch für mich frei würde.

 

Das klingt nach einer sehr schlechten Idee, ja… Denn somit war ich im ersten Moment zwar beruhigter, da er nicht komplett aus meinem Leben verschwand, doch dadurch fing es an, dass ein Hauch von Hoffnung in mir wuchs, die bis zum heutigen Tag immer noch in mir steckt und nicht mehr von mir loslässt.

 

Und auf etwas zu hoffen, ist, wie ich allmählich begriff, sehr gefährlich, mit Schmerz und einer ständigen Ungewissheit verbunden.

Da ich nach der Nachricht so aufgelöst war, beschlossen wir uns am nächsten Tag zu treffen.

 

Mir fiel es schwer ihm in die Augen zu schauen. Ich musste versuchen einen klaren Kopf zu bewahren, um nicht wieder die Kontrolle zu verlieren. Er war jedoch so unglaublich nett, sodass es die ganze Sache nur noch mehr erschwerte.

 

Wir gingen spazieren und redeten darüber, wie es jetzt weiter gehen sollte. Er sah mir natürlich an, dass ich ihn auf keinen Fall gehen lassen wollte. Obwohl ich versuchte mich zusammenzureißen, weinte ich sehr. Denn als er persönlich vor mir stand und mich in den Arm nahm, wurde mir innerlich so warm und ich hätte die Zeit am liebsten anhalten wollen. Doch obwohl ich dieses Gefühl auch genoss, dachte ich daran, dass es vielleicht das letzte Mal sein würde und dies ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Meine Angst war aber zu groß, dass ich lieber dieses unwissende und gemischte Gefühl akzeptierte, anstatt ihn direkt zu fragen, was nun aus uns würde. Denn oft wirft die Suche nach Antworten nur neue Fragen auf. Und manchmal ist man besser dran, wenn man nicht alles weiß…

 

Er erzählte mir nicht viel, aber genug um zu verstehen, dass er nicht wirklich wusste, was er eigentlich wollte. Genau dies hätte mich eigentlich dazu bringen sollen, den Kontakt zu beenden. Denn was bringt es mir auf jemanden zu warten, der so unschlüssig mit sich selbst ist und vielleicht nie eine endgültige Entscheidung treffen wird?

 

Doch es war mir egal, komplett egal. Ich wollte nur eines nicht, und zwar ihn ganz aus meinem Leben gehen zu lassen.

 

Und so fing das Chaos, welches ich durch diese Entscheidung verursachte, erst richtig an.

 

Ich selbst wusste immer noch, dass ich ihn so sehr wollte. Doch bei ihm sah es anders aus. Die nächsten Monate waren ein ständiges Hin und Her. Seine Unentschlossenheit war kaum auszuhalten.

 

Es gab Tage, an denen er mich fragte, wie es mir gehe, ob wir uns mal wieder sehen wollten, dass er mich vermisste…

 

An diesen Tagen wuchs meine Hoffnung wieder und es bestätigte mich nur noch mehr darin, dass ich damals richtig gehandelt hatte, ihn nicht gehen zu lassen und weiter um ihn zu „kämpfen“.

 

Doch dann gab es diese anderen Tage, an denen er mich komplett ignorierte oder sehr verletzend und abweisend zu mir war. Es war sehr schwer dies zu verstehen. Mir war klar, dass er immer noch mit diesem anderen Mädchen Kontakt hatte. Dieser Gedanke brach mir jedes Mal erneut das Herz. Doch er versuchte mir irgendwann zu sagen, dass er das mit ihr komplett beenden wollte. Natürlich glaubte ich ihm und freute mich sehr. Ich dachte, diese Ungewissheit wäre nun endlich vorbei. Doch ich hatte mich gewaltig getäuscht, mal wieder… Kaleb wollte immer, dass ich ständig für ihn da war. Ich denke, dass er diese Bestätigung von jemanden brauchte, geliebt zu werden. Und diese gab ich ihm. Egal wie verletzend er mich manchmal behandelte. Ich sah nur das Beste in ihm. Häufig verabredeten wir uns, ich war schon auf dem Weg zu ihm, doch dann kam diese Nachricht, in der stand, dass er doch keine Lust mehr hatte und ich nach Hause fahren sollte. Jedes verdammte Mal, wenn so etwas passierte, spürte ich eine solche Wut und Enttäuschung in mir und ich schwor mir, das nächste Mal nicht sofort für ihn aufzuspringen. Aber diese Wut verwandelte sich schnell in eine tiefe Trauer, die mich daran erinnerte, trotz all dem Stress nicht ohne ihn zu können.

 

Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich von mir selbst überrascht, wie sehr man sich von einer Person abhängig machen kann.

 

Durch Kaleb bekam ich zum ersten Mal Anerkennung und ich genoss es sehr. Ich bemerkte jedoch nicht, dass sein negatives Verhalten langsam das positive überwog. So sehr ich mich auch verletzt fühlte, konnte ich nicht lange auf ihn wütend sein. Ich versuchte ihn zu verstehen. Auf eine gewisse Art und Weise tat er mir leid. Denn seine Unentschlossenheit war ein großer Teil von ihm und ließ in unglücklich werden. Nie war ich mir wirklich sicher, wie lange er diesmal nett zu mir sein würde. Es konnte sich jede Sekunde wieder alles ändern. Und genau dies brachte mich dazu, Kaleb nur noch mehr festhalten zu wollen. Immer als ich ihn traf, dachte ich daran, dass es diesmal vielleicht das letzte Mal sein könnte.

 

Nicht zu wissen wie es weiter gehen wird, ist eines der schlimmsten Gefühle, die ich jemals gespürt habe.

 

Mein ganzer Alltag war von dieser Angst, dass jeden Moment eine Nachricht von ihm kommen könnte, beeinflusst. Dieser Faden der ständigen Ungewissheit zog sich langsam immer weiter durch mein Leben. Dieses Hin und Her ließ mich im Kreis drehen. Doch es gab etwas, das mich stärkte und in gewisser Weise motivierte dieses „Spiel“ weiter mitzuspielen. Und zwar war es die Hoffnung. Ich sah Kaleb nur aus einer Perspektive und hatte immer noch das Bild von ihm vor Augen, als ich ihn damals kennen lernte. Alles Andere übersah ich einfach. Das ist der Grund, warum ich ihn nicht gehen lassen wollte. Durch sein Verhalten mir gegenüber fing ich irgendwann an, die Fehler bei mir zu suchen, anstatt bei ihm. Natürlich wusste ich ganz genau, was ich wollte, doch dieses ganze Durcheinander machte mich so krank und der Gedanke, dass alles an mir liegt, verfestigte sich immer mehr.

 

Ich hatte ein Bild von mir vor Augen, welches plötzlich ins Wanken geriet. Am Anfang fühlte ich mich noch selbstbewusst und einzigartig, aber seit diesem Hin und Her wurde mir klar, dass dies nicht mehr so ist. Das Selbstbild, es nützt gar nichts. Denn übrig bleib meist nicht mehr als das, was die Anderen in uns sehen. Und in den schwachen Momenten versuchte ich mich dann zu ändern. Nicht für mich, sondern für ihn.

 

Ich wurde zunehmend naiver und konnte mir nicht vorstellen, dass ich einem „Zerstörer“ gegenüberstand. Ich versuchte logische Erklärungen für sein Verhalten zu finden.

 

Ich begann mich zu rechtfertigen und versuchte transparent zu sein. Jedes Mal, wenn Kaleb sich wieder in einem großen Loch der Unentschlossenheit befand und mich dabei verletzte, versuchte ich ihn zu verstehen und ihm zu vergeben.

 

Denn ich liebte und bewunderte ihn sehr und war der Meinung, dass ich ihm helfen müsste.

 

Während Kaleb in seinen starren Gewohnheiten festgefahren blieb, versuchte ich mich anzupassen und zu verstehen, wonach er bewusst oder unbewusst strebte. Ständig war ich auf der Suche nach meiner eigenen Schuld an der Situation.

 

Doch im Endeffekt lag es an ihm. Er war derjenige, der nicht wusste, was er wollte. Und da er wusste, dass ich immer bei ihm blieb, egal was er auch tat, musste er sich eigentlich auch nicht zwingend entscheiden. Doch eines Tages eskalierte es dann. Mal wieder ignorierte er mich und ich war am Durchdrehen. Ich hatte genug und wollte endlich Klarheit. Alle sagten mir, wie unglücklich ich wirkte und dass es so nicht weitergehen konnte. Also nervte ich Kaleb sehr. Ich fragte ihn, was das mit uns eigentlich wäre und ob er noch Kontakt zu seiner „Ex“ hätte. Doch von ihm kam einfach nichts! Eine große Wut fing an sich in mir auszubreiten und somit überlegte ich mir etwas, worauf er bestimmt antworten würde.

 

Von Kaleb erfuhr ich damals, dass seine Ex nichts von mir wusste. Die ganze Zeit hatte er sie angelogen und ihr das mit mir verschwiegen. Und so kam mir eine Idee. Ich tat so, als ob ich Kontakt zu ihr aufgenommen hätte. Natürlich hatte ich das nicht, doch mir fiel nichts Anderes ein, als ihn damit zu provozieren, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

 

Wie schon erwartet, antwortete er endlich. Doch das Gespräch verlief anders als vermutet. Er wurde so wütend, da er wirklich dachte, dass ich seiner Ex geschrieben hatte. Ich versuchte es aufzuklären und ihm zu zeigen, dass ich doch einfach nur verstehen wollte, was genau das war mit uns. Doch er ließ sich auf nichts ein. Er fing an mich zu beleidigen, mir zu drohen und meinte, dass er mir, auch wenn er jetzt versuchte mir zu glauben, zutrauen würde, dass ich zu ihr Kontakt aufnehmen würde. Die Situation eskalierte so sehr, dass ich nur noch zitternd und weinend am Handy saß, während ich all seine Beleidigungen las. Und schließlich kam die Antwort, von der ich mich so lange gefürchtet hatte. Er schrieb: „Es tut mir leid, aber ich liebe sie.“ Mein Herz brach in dem Moment so sehr auseinander, dass meine ganze Brust anfing zu schmerzen. Alles um mich herum verblasste und ich konnte und wollte nicht wahrhaben, was ich dort las. Die Buchstaben verschwammen und ich fühlte, wie ich jeden Moment anfangen würde zu weinen. Doch es kam nichts. Wie in einem gewaltigen Schock erstarrt saß ich einfach nur da. Doch als ich realisierte, dass es nun vorbei war, stellte ich ihm noch eine letzte Frage. Ich fragte ihn, warum er mir das nicht schon längst gesagt hatte und nicht erst, nachdem ich seine Aufmerksamkeit durch eine Lüge bekommen musste. Seine Antwort war, dass er mich nicht verletzen wollte… Dass eine ständige Ungewissheit viel schmerzhafter war, als eine klare Ansage, verstand er anscheinend nicht.

 

Jedenfalls ignorierte er mich dann überall, und es war das Ende. Dies dachte ich jeden-falls. Doch es ging noch weiter.

 

Ich war so geschockt. Wochenlang war ich in einer Blase aus tiefer Trauer und Schmerz gefangen. Zu nichts konnte ich mich motivieren und es wurde immer schlimmer.

 

Ich schaute mir Bilder von ihm an, obwohl es dadurch nur noch mehr weh tat.

 

Ich sagte mir, dass ich irgendwann, wann auch immer das sein mochte, seine Bilder anschauen würde, ohne Schmerz oder etwas dergleichen zu spüren. Diesen Stich in meinem Herzen, der sich langsam über meine Brust ausbreitete und immer stärker wurde, wenn ich einfach nur in seine so dunklen Augen schaute. Ich verlor mich jedes Mal wieder darin, auch wenn es „nur“ ein Bild von ihm war. Aber dieses „Verlieren“ definierte ich nach dieser Eskalation anders. Anders als früher. Früher hatte ich mich zwar auch schon in diesen Augen verloren, doch mit einem anderen Gefühl.

 

Ich sah in dieses Dunkle und wusste nicht, was kommen würde. Ich war nicht mehr im Stande irgendetwas zu denken. Als wenn ich mich tief in einen Abgrund stürzte. Aber dieses Gefühl von Verlorenheit war schön. Ich mochte dieses Ungewisse, mit einem Hauch von etwas Konstantem, Geheimnisvollen. Doch nun war diese schöne Seite des Dunklen zu tiefer Trauer übergegangen. Der Schmerz ließ sich kaum interpretieren und in Worte fassen. So tief verankert, als wenn er nie mehr von mir loslassen würde. Dieses Dunkle, auf das ich so stand, hatte Besitz von mir ergriffen und ich, hilflos, kraftlos, voller Trauer und Schmerz in mir, wusste nicht, wie viel ich noch im Stande war, auf Dauer auszuhalten…

 

Der Schmerz – ich versuchte ihn einfach auszuhalten und hoffte, dass er von alleine wieder weg ging. Hoffte, dass die Wunde, die er ausgelöst hatte, verheilte. Es gab keine wirkliche Lösung und auch keine leichten Antworten. Ich atmete tief ein und aus und wünschte mir, dass er nachließe.

 

Meistens konnte ich den Schmerz kontrollieren. Aber diesmal erwischte er mich da, wo ich es nicht erwartet hätte. Er traf mich unter der Gürtellinie und hörte nicht mehr auf weh zu tun. Die Wahrheit ist, dass ich ihm nicht entkommen konnte. Also versuchte ich mich der Situation zu stellen und sagte mir ständig, dass es wirklich für immer vorbei war. Denn schon oft gab es Situationen, in denen Kaleb den Kontakt abbrach, jedoch sich nach paar Tagen wieder meldete. Aber diesmal war es anders. Diesmal wurde eine Grenze überschritten und ich konnte dieses Ende nicht akzeptieren. Ich verspürte einen so großen Hass auf ihn, dass ich einen Weg suchte, um mich zu rächen.

 

Nach vielen Überlegungen, fing ich an, alles aufzuschreiben, was zwischen ihm und mir passiert war. Meine Gefühle, meine Hoffnungen, die Enttäuschungen, seine Versprechen immer auf mich aufzupassen, das Hin und Her, die Lüge, seine Worte, dass er sich für mich entscheiden würde… All dies verfasste ich in einem Brief und schickte ihn an Kalebs Ex oder zu dem Zeitpunkt sogar wieder Freundin… Mein Ziel, die beiden zu entzweien, war es nicht. An erster Stelle stand für mich, dass ich ihr die Wahrheit erzählte und all das, was er ihr verschwieg. Ich hatte einfach das Bedürfnis, diese ganze „Story“ loszuwerden.

 

Und was passierte dann natürlich? Kaleb nahm Kontakt mit mir auf und wollte wissen, warum ich so etwas tat. Seltsamerweise war er nicht wirklich sauer. Im Gegenteil, er war verständnisvoll und meinte einfach, dass ab jetzt jeder seinen Weg gehen sollte. Dies wollte ich eigentlich nicht damit erreichen, doch es blieb mir nichts anderes übrig, als all das endlich hinter mir zu lassen.

 

Es fiel mir so schwer. Dieser Verlust, es war kaum auszuhalten. Mein Leben fühlte sich leer an. Als ob etwas sehr Wichtiges fehlte, um glücklich zu sein. Daran merkte ich erst, wie stark meine Laune von dieser Person abhängig war. Ich hätte nie geglaubt, dass etwas so schmerzen kann. Ein offenes Herz ist die verwundbarste Stelle, und diese hatte er getroffen.

 

Mehrere Monate versuchte ich ihn zu vergessen, die Geschehnisse zu verdrängen und so zu tun, als ob es mir gut gehe und all das nicht passiert wäre. Doch irgendwann merkte ich, dass es besser ist, die Vergangenheit nicht zu ignorieren, sondern von ihr zu lernen. Denn ansonsten laufe ich der Gefahr aus, dass sich die Geschichte wiederholt.

 

Es gab ein paar Momente und Phasen, in denen ich dachte, der Schmerz würde endlich verschwinden.

 

Aber Kaleb drängte sich immer wieder in meine Gedanken. Irgendwann konnte ich einfach nicht anders und rief ihn an. Jedoch legte ich, kurz bevor er ran ging, wieder auf. Ich wollte ihm nur zeigen, dass ich noch an ihn dachte. Einige Zeit später konnte ich es so einfädeln, dass ich ihn spontan traf. Es war ein so seltsames Gefühl ihn nach all den Monaten wieder zu sehen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass dieser Tag nochmal kommen würde, an dem ich ihn wieder sehe konnte. Wir unterhielten uns und er fragte mich. ob es mir gut ginge und ich über ihn hinweg wäre.

 

Einen kurzen Moment wollte ich lügen und behaupten, dass es mir super ginge. Doch ich gab zu, wie schlecht es mir immer noch ging. Kaleb erzählte mir, dass er nicht wirklich wisse, ob er seine Freundin noch liebe. Genau ab diesem Punkt merkte ich, dass sich nicht viel verändert hatte. Noch immer hatte die Unentschlossenheit eine gewisse Macht über ihn.

 

Wir verziehen uns beide für all das, was zwischen uns passiert war und blieben seitdem trotzdem wieder etwas in Kontakt.

 

Das freute mich natürlich sehr. Denn ich hatte angenommen, dass er glücklich verliebt war, doch dem war anscheinend nicht so. Und was tauchte dann wieder, ohne es kontrollieren zu können, tief aus meinem Inneren auf? – Die Hoffnung. Es hat sich also immer noch nichts geändert. Schon wieder fange ich an, zu hoffen und mir Sachen mit ihm vorzustellen. Natürlich frage ich mich, warum ich Kaleb immer noch so sehr mag. Ich habe wirklich versucht andere Jungs interessant zu finden, doch keiner kommt an ihn auch nur im Entferntesten heran.

 

An Kaleb fasziniert mich sein Selbstbewusstsein, seine intellektuelle Überlegenheit, sein Streben nach Erfolg, dass er sich nicht wie andere in dem Alter betrinkt und feiern geht… Und neben diesen sehr vorbildlichen und vernünftigen Eigenschaften, kann er trotzdem noch so locker sein. Diese Konstellation aus beidem ist meiner Meinung nach perfekt!

 

Nun sitze ich hier am Strand und lasse alles Revue passieren. Und ich stelle fest, dass weder er, noch ich mich geändert haben. Kaleb verhält sich wie vor einem Jahr. Ab und zu schreibt er mir, dann ändert er wieder seine Meinung… Und was tue ich? Ich spiele dieses Spiel schon wieder mit. Zuerst dachte ich, dass sich meine Rolle etwas geändert hat und ich stärker und unabhängiger geworden bin. Doch das stimmt leider nicht. Ich fange an, mich wieder mehr und mehr auf ihn zu konzentrieren und es kostet sehr viel Energie. Diese Vorstellungen, die ich von ihm habe, sind, glaube ich, nur eine Illusion. Kaleb ist nicht so, wie ich es mir denke. Es gefiel mir einfach nur, es mir so vorzustellen und dies zu glauben, ohne es wirklich zu hinterfragen.

 

Ich stehe am gleichen Wendepunkt. Vielleicht ist es diesmal ein Zeichen, mich zu entscheiden. Auch wenn ich mich bis jetzt immer noch so verhalte wie bisher, ist es nicht zu spät etwas zu ändern.

 

Viele Grenzen habe ich schon überschritten, nur um diese Person nicht zu verlieren. Und gestärkt durch die Hoffnung, mache ich immer weiter, suche neue Möglichkeiten, ohne zu merken, dass ich im Endeffekt genau das Gegenteil damit erreiche und mich selbst verletze.

 

Ich sage mir, dass ich lieber die Dinge bereue, die ich getan habe, als die, die ich nicht getan habe. Und ich bereue auch nichts von all den Erlebnissen mit Kaleb. In gewisser Hinsicht habe ich mich doch geändert. Denn hätte ich dies nicht, würde ich jetzt nicht hier sitzen und darüber nachdenken, welche andere Optionen es noch gäbe. Vor einem Jahr hätte ich es noch nicht einmal im Entferntesten in Erwägung gezogen, solche Gedanken überhaupt zuzulassen. Doch nun bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich bereit bin, eine Entscheidung zu treffen.

 

Ich weiß, dass es, so wie es momentan ist, nicht weitergehen kann. Also muss es anders werden. Und dies kann es nur, wenn ich etwas ändere.

 

Jetzt wäre es an der Zeit, dass diesmal ich dieses „Spiel“ beende, bevor er es wieder irgendwann tun wird. Im Endeffekt haben wir beide schon verloren und unsere Tiefpunkte erreicht. Wir handeln beide wie zuvor, es hat sich nichts geändert, der Kreis aus vermischten Gefühlen, Unentschlossenheit und Hoffnungen dreht sich weiter. Nun muss das nur noch einer von uns endlich realisieren und „dieses Ganze“, wie auch immer man das mit uns zu definieren versucht, beenden. Denn so kann es nicht weitergehen und vor allem nicht besser werden.

 

Ich glaube an das Schicksal und sage mir, dass alles im Leben aus einem bestimmten Grund geschieht. Und wenn alles Schicksal ist, erübrigt es sich praktischerweise mein Handeln zu hinterfragen. Aber am Ende des Tages muss ich mit meinen Entscheidungen leben…

 

Ich weiß, dass ich ihn noch sehr liebe. Doch so weiterzumachen bringt mir nichts, es schwächt mich nur noch mehr. Ich glaube, dass Liebe nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Denn Erwiderung ist eine Option, keine Voraussetzung. Das ist mir nun klar. Und wenn zwei Menschen wirklich zusammen gehören, wird das Schicksal sie schon zusammen führen…

 

Ich habe mich entschieden, diesmal eine andere Entscheidung zu treffen. Wer weiß schon, ob diese nun „richtig“ ist. Doch ich weiß, was ich will und das ist schon mal ein Anfang. Ich will, dass es mir gut geht, ohne dies von einer Person abhängig zu machen. Vielleicht muss ich das zuerst lernen, bevor ich bereit für ein neues „Spiel“ bin. Eine neue Rollenverteilung ist wichtig. Doch zuerst muss ich mich entscheiden und dies habe ich nun – für mich.