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Die Mutter

Marjan Abbaszadeh


Die Trauer um meinen Mann war unerträglich. Nun ist es drei Tage her und ich kann immer noch nicht begreifen, dass er nicht mehr nach Hause kommt.

 

Die Taliban haben ihn umgebracht. Wir, dm heißt ich und mein Mann Amir, unsere Söhne Salim 23 und Ali 13 und unser Nesthäkchen Asma 12 Jahre, lebten in unserem kleinen Haus in Herat. Das Geld, welches mein Mann, als LKW-Fahrer verdiente, reichte gärade um über die Runden zu kommen.

 

Jetzt fehlt er uns sehr und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. lch brauche meine ganze Kraft, die Kinder zu trösten, denn sie haben keinen Papa mehr. lch bin sehr traurig und sehr verzweifelt. Und doch muss das Leben weitergehen.

 

Wir hatten noch etwas Erspartes von dem wir leben konnten, aber dann versuchte unser Ali Geld zu verdienen und arbeitete als Beifahrer auf einem LKW. lch hatte inzwischen auch gearbeitet, aber die Doppelbelastung Arbeit und Haushalt war zu viel.

 

Nach einiger Zeit traf uns der nächste Schicksalsschlag. Bei einer Fahrt in den lran, wurde der Wagen, in dem Ali als Beifahrer saß, an der Grenze von Polizisten gestoppt und untersucht. Der Fahrer war plötzlich verschwunden und Ali mein Sohn als Alleinschuldiger wurde festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Der LKW war voller Drogen, was er aber nicht gewusst hat. lch fühlte mich ohnmächtig, hilflos und verzweifelt. Es gab Momente da fühlte ich überhaupt nichts mehr.

 

Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie es meinem geliebten Sohn Ali im Gefängnis geht. Wie hält er das aus? Wie verhalten sich die anderen Gefangenen ihm gegenüber? Die Ohnmacht, ihm nicht helfen zu können, bringt mich fast um.

 

Aber manchmal scheint auch für mich wieder die Sonne. Mein Altester, Salim, der seit vielen Jahren verheiratet ist, hat drei Jahre lang Nachforschungen nach dem verschwundenem LKW-Fahrer angestellt. Nun hatte er ihn gefunden. Das hat er mir gestern erzählt und nun vgrsucht er mit dem Fahrer einen ,,deal“ zu machen. Er soll sich den Behg;den stellen, oder mein Sohn erzählt der Polizei, dass er den LKW gefahren hat.

 

Aber wenn man so richtig im Dreck steckt, kommt man nicht wieder raus. Als wir vom Einkaufen zurückkamen, fanden wir meinen Sohn Tod im Hause. Er lag auf dem Boden – sein Hals war dunkelrot verfärbt. lch konnte nicht glauben, was meine Augen sahen. Er hatte mir doch versprochen immer bei mir zu bleiben und seinen Bruder zu retten. Alles war plötzlich so leer.

 

Mein Altester war nun von uns gegangen. Wochen danach rief mein Jüngster aus dem Gefängnis im lran an:,,Mama, ohne Anwalt komme ich hier nie raus“

 

lch verkaufte unser kleines Häuschen um einen Anwalt bezahlen zu können. Er machte mir immer Hoffnung, aber ich war auf einen Betrüger reingefallen. Er hatte praktisch nichts unternommen und das Geld war auch weg.

 

Es war also nichts geschehen um meinen Sohn aus dem Gefängnis herauszuholen. Und dann rief er an: Mama, wenn ihr nicht sofort meine Unschuld beweisen könnt, werde ich morgen hingerichtet“.

 

,,Nein , nein, nein – das darf nicht geschehen.“ lch sackte langsam zu Boden mit dem Telefonhörer in der Hand und hörte meinen Sohn am anderen Ende weinen. Mir wurde schwarzvor Augen. Die Welt rückte immer weiter von mir fort.

 

Seit diesem Tage ist meine Mutter nie wieder die geworden, die sie mal war. Die Sonne brennt auf meine Heimatstadt Herat. Ich bin alleine.