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Das Beste am Tod

Luna Drefs

Die Siegertexte aus den Workshops  mit dem Thema "UND PLÖTZLICH IST ALLES GANZ ANDERS" an der Stadtteilschule Mitte im Januar 2018.


Weiße Wände, Flure, die unendlich lang auf mich wirken. Das grelle Neonlicht brennt in meinen Augen, sodass ich wie benommen blinzle. Schritte hallen in meinen Ohren wider und ein unangenehmer Geruch nach Desinfektionsmittel steigt in meine Nase, doch das alles bemerke ich nur am Rande. Mein Herz klopft wild in meinem Brustkorb, wie ein gefangener Vogel, den man nicht frei lässt. Mein Atem geht stoßweise und ich spüre einen kalten Schweiß, der sich in meinen Nacken ausbreitet. Mein Mund ist trocken und ich wünschte ich hätte das Glas Wasser, das man mir aus Höflichkeit angeboten hatte, nicht abgelehnt. Zittrig setze ich einen Fuß vor den anderen, mein Ziel ist es hier rauszukommen, den dunklen Abendhimmel zu sehen und gelöst von meinen Gedanken zu sein. Meine Schritte beschleunigen sich, sobald ich dem Ausgang näher komme und als ich die Tür aufstoße und mich die kühle Luft in Empfang nimmt, habe ich das Gefühl atmen zu können. Ich gehe ein paar Schritte und setzte mich schließlich auf eine Bank. In meinen Gedanken höre ich immer wieder die Worte des Arztes, sie verfolgen mich und wollen mich nicht loslassen. „Du wirst sterben, wir schätzen du hast noch ein paar Monate, in der Zeit werden wir versuchen dir die Schmerzen zu nehmen.“

 

Seit einer Woche habe ich das Bett nur, um auf Toilette zu gehen verlassen, meine Eltern kommen regelmäßig mit aufgesetzt fröhlichen Mienen in mein Zimmer und bringen mir meine Lieblingsgerichte, die ich allesamt stehen lasse und meine Medikamente gegen die Schmerzen, die ich wiederum dankend annehme. Die Schmerzen sind jedoch trotzdem ein ständiger Begleiter und setzten mir zu, obwohl sie abgeschwächt werden. Momentan sind die Medikamente noch niedrig dosiert, weshalb ich noch einen klaren Kopf habe und mir der Situation schmerzlich bewusst bin. Doch je näher ich dem Ende komme, desto höher werden sie mir verabreicht, haben mir meine Eltern erklärt. Sie werden meinen Verstand verklären und es mir leichter machen loszulassen.

 

Meine Vorhänge sind zugezogen und ich kann die Umrisse meines Zimmers nur schemenhaft erkennen. Die Luft ist stickig und erdrückt mich, ich kann mich aber nicht überwinden das Fenster zu öffnen oder meine Eltern dazu zu bitten. Sie sitzen unten im Wohnzimmer und ich bin froh, dass sie mich in Ruhe lassen, mir Zeit geben, mit der Situation klar zu kommen, obwohl ich nicht glaube, dass sie das nur für mich tun. Sie stehen unter Schock und würden es nicht schaffen ihre Maske aus guter Laune lange vor mir aufrecht zu erhalten. Mein Handy liegt ausgeschaltet neben mir, seitdem ich meinen Freunden geschrieben hatte, dass ich nicht in die Schule kann, weil ich krank bin.

 

Ich schließe meine Augen und wünsche mir, dass es einfach vorbei wäre, dieses langwierige Warten auf den Tod ist schlimmer als der Tod selbst. Es quält mich nicht zu wissen wann es passiert. Wenn ich müde werde, beschleunigt sich mein Herzklopfen, denn jedes Mal steigt Panik in mir auf, wenn ich daran denke, vielleicht nie wieder aufzuwachen.

 

Ich höre wie es an der Tür klingelt und geöffnet wird, dann höre ich schnelle Schritte auf der Treppe und in der nächsten Sekunde wird meine Türklinke herunter gedrückt. Im Türrahmen steht Lea. Sie ist meine beste Freundin seit wir im Kindergarten Sandburgen zusammen gebaut haben und auch wenn wir uns manchmal anschreien sind wir unzertrennlich. Jetzt hat sie ihre Arme in die Seite gestemmt und sieht mich entschlossen an. „So! Beweg deinen Arsch jetzt aus dem Bett. Ich akzeptiere es nicht länger, dass du deine Zeit verschwendest.“ Sie geht auf mich zu und zieht mir die Decke weg. Ich sehe sie grimmig an. „Lass mich in Ruhe!“ sage ich genervt und ziehe mir die Decke wieder bis an meinen Hals. Sie seufzt und lächelt zaghaft. „Ich weiß es, deine Eltern haben es meinen gesagt und du weißt ja, dass sie nichts für sich behalten können. Und jetzt steh auf, wir fahren an den Strand, ich habe mein Auto dabei.“ Ihr Ton ist streng und ich weiß, dass keine Widerrede helfen wird. Meine Bewegungen sind langsam und müde als ich mich anziehe und mit ihr das Haus verlasse. Wir setzen uns in ihren Jeep, in dem sich die sommerliche Hitze angestaut hat. Sie startet den Wagen und die Landschaft beginnt an uns vorbei zu ziehen, nachdem wir durch die kleine Wohnsiedlung gefahren sind wird das dunkle Grün der Bäume am Straßenrand von der rauen Küste und dem tiefblauem Himmel abgewechselt.

 

Der warme Sand tut gut unter meinen Füßen und mein Atem ist vor Erschöpfung schwer und schnell. Ich lasse mich in den Sand fallen und Lea lässt sich neben mir nieder. Ich schaue auf das Meer, es ist unruhig und hohe Wellen schlagen auf den Strand. Das Rauschen ist beruhigend und schenkt mir gleichzeitig Kraft. Die Sonne steht schon tief und strahlt ein sanftes Licht aus. Eine Weile sind wir still und genießen die Zweisamkeit, den Blick auf das Meer gerichtet. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie sie in ihrer Tasche kramt und ein kleines Notizbuch und ein Stift herausholt. Beides legt sie in meinen Schoß. „Ich habe eine letzte Bitte an dich und die musst du mir erfüllen, du bist meine beste Freundin und damit ich irgendwie damit klar komme, dass du bald einfach nicht mehr da bist, muss ich wissen das du deine letzte Zeit genossen hast. Das du glücklich warst.“ Ihr Blick schweift ab und sie beobachtet Eltern die am Strand mit ihren Kindern spielen. Die Familie lacht ausgelassen und scheint all ihre Sorgen vergessen zu haben. Als sich ihr Blick wieder auf mich richtet, sind ihre Augen mit Tränen gefüllt. „Ich will, dass du alles aufschreibst, was du schon immer machen wolltest, ohne Ausnahme und es Tag für Tag ab arbeitest. Ich weiß, du wirst sterben, aber die Zeit, die du hast solltest du nutzen, ich will das du stirbst und weißt, dass du gelebt hast.“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf meine Lippen, sie hat Recht und ich will ihr diesen Gefallen tun, also klappe ich das kleine Buch auf und denke kurz nach. Da gibt es viel was ich machen wollte, doch in meiner momentanen Lage erscheinen sie mir klein und unwichtig. Ich will meine verbleibende Zeit nur noch mit Dingen verbringen, die mir Spaß bringen oder bedeutsam für mich sind. Das erste was mir einfällt ist, dass ich ein unglaublicher Morgenmuffel bin, also schreibe ich mit einem breiten Grinsen den ersten Punkt meiner Liste auf.

 

Gerade als ich den Stift wieder absetzten will, tropft ein dunkelroter Blutstropfen auf das Papier. Geschockt fasse ich mir in mein Gesicht und als meine Finger meine Nase streifen spüre ich etwas Zähes und Warmes. „Lea, meine Nase… sie blutet…“schnell zieht sie mich hoch, drückt mir ein Taschentuch auf meine Nase, was sie aus ihrer Hosentasche gezogen hatte und zieht mich vorsichtig über den Sand auf das Auto zu. „Wir fahren zu dir, es wird bestimmt nicht so schnell aufhören. Ich habe mir ein bisschen was durchgelesen, bin jetzt ein kleine Expertin.“ Sie lächelt mich unsicher an und achtet darauf, dass sie nicht zu schnell für mich geht. Vorsichtig hilft sie mir mich in den Wagen zu setzten und steigt dann selber ein. Als sie anfährt werfe ich einen Blick zurück an den Strand und sehe wie die Sonne, wie ein flammender Ball am Horizont verschwindet und das Wasser golden färbt.

 

Ich liege im Bett und versuche meinen Geist zu beruhigen. Doch ich bin noch zu aufgewühlt, will und kann noch nicht schlafen. Nachdem wir bei mir zu Hause angekommen sind, hat meine Mutter alles stehen und liegen gelassen, um mir zu helfen und Lea mit einem dankbarem, jedoch traurigem Lächeln nach Hause geschickt. Die Blutung wollte nicht stoppen, egal was wir versuchten und je mehr Blut ich verlor, desto verzweifelter wurden wir. Meine Mutter griff schließlich zum Telefon und rief im Krankenhaus an. Die Krankenschwester dort sagte ihr, dass man einfach nur warten müsste, irgendwann hört es von alleine auf. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit an, dass ich über dem Waschbecken gebeugt war und die Minuten zählte, bis es endlich aufhörte. Danach fiel ich erschöpft in mein Bett und nun liege ich hier müde, aber so aufgedreht von dem Stress, dass ich kein Auge zu bekomme.

 

Meine Vorhänge sind aufgezogen und das Mondlicht fällt schräg durch mein kleines Fenster. Die Bäume wiegen sich im Wind und trotzdem wirkt die Nacht ruhig auf mich. Nach kurzer Zeit gebe ich den Versuch einzuschlafen auf und setze mich schwerfällig an meinen Schreibtisch, die kleine Lampe, die neben einem Bücherstapel steht, spendet etwas Licht und mein Blick fällt auf das Notizbuch. Ich klappe es auf und starre auf die erste Zeile. Es muss noch mehr als das geben. Mein Leben ist nun drastisch verkürzt, aber das heißt nicht, dass es zu Ende ist. Also schreibe ich alles auf, jeden noch so kleinen Gedanken, denn Lea hat Recht, ich will das schaffen, nicht nur für sie, sondern auch für mich selbst. Als ich fertig bin ist jede Seite meines Buches gefüllt und als mein Blick an dem Fenster hängen bleibt, stelle ich überrascht fest, dass es bereits anfängt zu dämmern.

 

Schnell stehe ich auf und ziehe mich um. Ich ziehe die Autoschlüssel aus meiner Hose, die eigentlich in die Wäsche gehört. Ich weiß, dass ich wegen den starken Schmerzmitteln, die ich einnehme, nicht fahren dürfte, jedoch weiß ich, dass ich sicher fahren kann. Es ist mir gesetzlich nur nicht erlaubt, aber ich sterbe, was habe ich also noch zu verlieren? So leise, wie möglich verlasse ich das Haus, was sich als schwierig erweist, da ich bereits nach den Treppen schnaufe, wie nach einem Marathon. Ich lasse mich in den Sitz meines in die Jahre gekommenen Autos fallen und atme erstmal kurz durch bevor ich den Wagen starte. Als ich mein Gesicht im Rückspiegel sehe, erschrecke ich. Meine Haut ist blass und fahl, unter meinen Augen liegen tiefe Schatten. Schnell sehe ich weg, ich will mich so nicht sehen und würde mir am liebsten weiter vormachen, dass ich stark bin, dass die Krankheit mich nicht in ihrem eisernen Griff hat. Ich wage noch einen Blick, doch dieses Mal lächle ich mir selbst zu, es ist okay, das bin jetzt ich.

 

Ich steige aus und schlage die Tür hinter mir zu, mein Notizbuch habe ich in meiner Hand. Vor mir breitet sich die Steilküste aus, dahinter das weite Meer. Die Sonne erhebt sich strahlend aus dem Wasser und lässt es glitzern. Ich atme den salzigen Geruch tief ein und spüre wie sich meine Lunge mit Leben füllt. Ich öffne das Buch und streiche stolz das erste Mal etwas auf meiner Liste durch. Sonnenaufgang beobachten. Ich setze mich auf die Motorhaube und sehe zu wie die Sonne immer weiter am Himmel nach oben klettert. Ich schließe die Augen und genieße die ersten wärmenden Strahlen. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen und will einfach nicht verschwinden, denn jetzt weiß ich, dass ich damit klar komme zu sterben. Ich werde sterben, aber ich habe die Chance mein Leben vor dem Tod zu genießen, wie es keiner könnte, der sein ganzes Leben noch vor sich hat. Aus der Folter wurde ein Geschenk. Ich drücke mir das Buch fest an die Brust.