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Aus der Komfortzone rauskommen

Malin Brunk

Die Siegertexte aus der Schreibwerkstatt  mit dem Thema "MUT" an der Stadtteilschule Lurup im Februar 2020.

Prämierte Geschichten aus der Gruppe „Journalistisches Schreiben“.


D. R.

 

D. R. ist eine elegant gekleidete Frau, mit einem langen dunkel-blauen Mantel. Sie trägt schulterlanges braunes Haar und hat ein freundliches Gesicht. Ihre Art ist zuvorkommend und zugleich distanziert. Mit zehn Jahren ist sie damals nach Hamburg gezogen und hat vorher in Argentinien, Chile und Österreich gelebt. Sie spricht Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Deutsch. Heute ist sie 40 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern (8 und 10 Jahre alt, beides Jungs) hier in Hamburg. Zurzeit ist sie Hausfrau, hat aber zuvor nach ihrem Studium bei der Commerzbank gearbeitet. Nun findet sie nicht so richtig den Mut zum Wiedereinstieg in den Beruf. Das Wort „Mut“ bedeutet für sie, dass man sich traut seine Angst zu überwinden. Dazu gehört für sie auch Zivilcourage.

 

Ihre Antworten wirken gut überlegt, durch ihre etwas verschlossene Haltung und dem abwesenden Blick aus dem Fenster. Sehr besonnen äußert sie sich zu dem Thema „Zivilcourage“ aus ihrer Kindheit. Das Erlebnis fand in ihrer Schulzeit statt, in der es einen Jungen in ihrer Klasse gab, der viel gemobbt wurde. Sie wünschte sich, dass sie ihm geholfen hätte habe sich aber nicht getraut “Ich war damals ein ruhigerer und schüchterner Typ als heute“.

 

Die Angst, ihre Komfortzone verlassen zu müssen und somit eventuell selbst gemobbt zu werden, hat sie davon abgehalten. Somit stellt Mut zu zeigen auch eine Gefahr für sie dar „Mut hat ohnehin auch seine negativen Aspekte“. Heute schämt sie sich für ihr Verhalten und besonders für das ihrer Mitschüler „Selbst nach 20 Jahren, hat er uns nicht verziehen“. Das erfuhr sie bei einem 20-jährigen Abiturtreffen. Der ehemals gemobbte Junge erschien nicht, hinterließ stattdessen einen Brief, in dem er seine Betroffenheit zum Ausdruck brachte und beleidigende Worte benutzte. 

 

Ihr Vorbild für Mut ist hingegen ihr jüngerer Bruder, welcher sich gerne neuen Herausforderungen stellt. Diese Einstellung versucht sie auch ihren Kindern zu vermitteln. Der 35-Jährige, der Sprachen, Literatur- und Geisteswissenschaften studiert, aber keinen Beruf erlernt hat, reist mutig durch die ganze Welt und kennt keine Angst. An dieser Stelle kam die Frage auf, ob man Mut lernen könne. „Ja, Mut kann man durch positive Erfahrungen lernen“ war ihre Antwort. Daraus resultierte die Frage, ob es Methoden dafür gäbe mutiger zu werden. Ihr Vorschlag ist, dass sich sehr ängstliche Menschen einer Therapie unterziehen können. „Trotzdem glaube ich kann man einen Menschen nicht drehen, da eine Therapie aus einem ängstlichen Menschen nicht gleich einen mutigen macht“. „Meine Kinder sind beide komplett unterschiedlich, obwohl sie gleich erzogen werden“. Dass der eine mutiger als der andere sei betont, dass Mut von den Genen abhängt. 

 

„Ich unterstütze meine Söhne durch belohnende Worte, mutiger zu sein“. Ob das, das Selbstbewusstsein stärkt und somit auch mit Mut zusammenhängt, erläutert sie kurz mit „wer mutig ist, wird selbstbewusster“ und bringt damit zum Ausdruck, dass eine mutige Tat zur nächsten führt und dementsprechend das Selbstbewusstsein stärken könne „Es gibt Berufe in denen Mut bzw. Selbstbewusstsein erforderlich ist“.

 

Ein Tipp von ihr lautet, Mut in kleinen Schritten zu erlernen. Wenn man sich also als homosexueller Mensch outen will, dann sollte man es erst seinen engsten Freunden erzählen. 

 

Ein großes Outing wäre ein extrem mutiger Schritt, da man dabei die Angst auf die Reaktion anderer fürchten muss.

Die Angst vor Herausforderung, glaubt sie, besteht meist eher bei Mädchen, da es von der Biologie bestimmt ist, dass Jungs stärker und somit mutiger sind. 

 

Sie selbst sagt, „Ich könnte so einen Schritt nicht machen“, ergänzend dazu, „Ich würde auch gerne den Mut dazu finden, um mir wieder einen Job zu suchen“. Aus ihrer Komfortzone rauszukommen, fällt ihr immer noch schwer, dennoch empfindet sie sich als mutig genug. Zumindest mutiger, als noch vor über 20 Jahren. 

 

D. R. hat sich besonders positiv im Laufe des Gesprächs entwickelt. Sie wurde offener und hat ehrlich die gestellten Fragen beantwortet. Vor allem ihre Bereitschaft, dieses Gespräch zu führen, beweist, dass sie durchaus Mut hat.