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Ich sag das!

Katherina Chaidaki


Sandra G.

 

Mit Neugier in den Augen betrat Sandra G. den Raum. Die Nervosität in ihren Augen war kaum zu übersehen und war deutlich zu spüren. Aufgeregt stellte sie sich uns freundlich vor und gab jedem von uns zur Begrüßung die Hand. Ihr violettes Oberteil brachte ihre braunen Augen perfekt zur Geltung und ihre dunkelbraunen Haare fielen ihr gelassen auf die Schultern und verlieh ihren Charakterzug eine gewisse Sympathie. Sie lächelte uns warmherzig an und setze sich anschließend ruhig auf den Stuhl vor uns hin. Sie ist eine 59 jährige Juristin, die in Marokko geboren, jedoch in Kanada aufgewachsen ist und seit 20 Jahren hier in Deutschland lebt. Zusammen mit ihrem Ehemann hat sie zwei gemeinsame Söhne, die jeweils 18 und 19 Jahre alt sind. Ihre Muttersprache ist Französisch, was man schon an ihrem leichten Akzent erahnen kann. Trotz ihrer Nervosität strahlt sie eine selbstbewusste, fröhliche Art aus. 

 

Desto überraschender Wirkt es, dass sie trotz ihres nervösen Auftretens, so viel über das Thema Mut zu erzählen hat. Sie selbst hält sich als sehr mutig. Dadurch, dass sie in ihrer Jugend sehr oft verreist ist und ihr somit viele Gefahren und Risiken über den Weg gelaufen sind, findet sie es mutig von sich selbst, dass sie sich diesen Gefahren und Risiken gestellt hat. Denn Mut ist für sie, auch mal aus seiner Komfortzone zu kommen und Sachen zu tun, die man sonst nicht tun würde, weil die Angst einfach zu groß wäre. Als wir sie fragten, welche Person in ihrem Leben die mutigste sei, antwortete Sandra G. total enthusiastisch darauf, dass es ihr alter Jura-Professor in Kanada sei. „Er hat keine Angst. Das ist unglaublich.“, sagte sie mit ihrem Akzent. Ihr alter Jura-Professor hat auf einer juristischen Reise in Russland eine Vergiftung überlebt und dies fand sie ganz mutig von ihm. Ihre Kinder sind ein sehr wichtiger Aspekt in ihrem Leben, die ihren Mut sowohl stärken als auch schwächen. Man hat laut ihr, wenn man Kinder hat automatisch mehr Mut, da man ein gutes Vorbild sein will und seine Kinder schützen will. Dies verleiht einem mehr Mut. Doch gleichzeitig hat man auch weniger Mut, da man sich und seine Kinder schützen muss. Man will ein gutes Vorbild sein und seinen Mut vor den Kindern unter beweis stellen, jedoch muss man darauf achtgeben, dass man dabei das eigene Wohl und das der Kinder nicht gefährdet und geht deshalb ruhiger an die Sache ran. Es schwächt den Mut. Bei der Frage ob Mut wichtig in der Gesellschafft sei, antwortete sie mit einem klaren „Unbedingt!“. Sie hält es für wichtig, dass es Menschen gibt, die sich auch mal gegen Dinge, die ihnen nicht gefallen, wehren, wie beispielsweise den Hass, der in unserer heutigen Gesellschaft zuzunehmen scheint. Besonders als Frau benötige man sehr viel Mut im Berufsleben, da man als kleine Minderheit nicht gehört wird. Dies verglich sie mit einem Beispiel aus ihrem Berufsleben, als sie einmal ein Meeting hatte, wo sie die einzige Frau war. Sie musste deutlich lauter reden, um als Frau überhaupt gehört zu werden. Dies kostete sie viel Überwindung. Doch es gab auch Situationen in ihrem Leben, wo sie sich gewünscht hätte, sie hätte was gesagt, wie diese eine Situation als die Juristin einmal verreist war und im Flugzeug saß. Dort war auch eine junge Mutter mit ihrem kleinen vielleicht 3 oder 4 jährigen Sohn. So wie kleine Kinder nun mal sind, hat sich der kleine Junge nicht wirklich benommen und war sehr laut. Als Sandra G. wenig später auf die Flugzeugtoilette ging, hörte sie die junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf der gegenüberliegenden Toilette, wie sie ihn schlug und schimpfte er solle ruhig sein. „Es war schrecklich.“, sagte die in Marokko geborene entsetzt und schüttelte verständnislos ihren Kopf. In diesem Moment, wusste sie nicht so recht, was sie tun solle, sie wusste nicht ob sie die junge Mutter auf ihre Tat ansprechen sollte oder nicht. Im Nachhinein hätte sie sich gewünscht sie hätte es getan. Sie hätte sich gewünscht, dass sie ihren Mut zusammengekratzt hätte um etwas zu sagen. Dafür gab es aber andere Situationen im Leben der Juristin die umso mutiger waren. Es war ihr unangenehm darüber zu erzählen und sie zögerte etwas, als sie von ihrem Muttererlebnis aus der Kindergartenzeit ihrer beiden Söhne erzählte. Da sie Jüdin ist, besuchten ihre Söhne einen jüdischen Kindergarten und wie jeden Morgen brachte sie ihre Kinder in den Kindergarten. Der Kindergarten war geschützt. Draußen war ein Container wo sich die Polizei befand. Eines Tages bekam sie zufällig mit, wie ein großer, aggressiver Mann versuchte in den Kindergarten zu gelangen und draußen bei der Polizei stand. Der Mann schrie, dass er rein muss. Sie selbst war im Kindergarten drinnen und beobachte das ganze Geschehen von innen. Als der Mann nach längerer Zeit aggressivem schreien immer noch nicht nachgab, ließ ihn die Polizei irgendwann durch, bis der Mann am Eingang des Kindergartens stand und dort versuchte irgendwie weiter rein zu kommen. Jeder hatte Angst. Die Eltern die dort waren sammelten ihre Kinder ein und verließen schnell den Kindergarten. „Er war verrückt.“ Sagte Sandra G. Kopfschüttelnd und erzählte weiter. Der Mann behauptete er käme aus der Mossad und dass er von der CIA verfolgt wird, was er über seinen Computer erfahren hat. Dann endlich stellte sich die Juristin ihm entgegen und stellte ihn zur Rede. Sie sagte ihm, wenn das alles so stimmt was er meine, dann habe er im Kindergarten nichts zu suchen und solle zur Polizei gehen. Daraufhin fragte der Mann wieder aggressiv „Sagt wer?“ worauf die selbstbewusste Juristin antwortete „Ich sag das!“ In diesem Moment war sie so selbstbewusst wie nie. Der Mann ist gegangen. Doch im Nachhinein hatte sie Angst, wenn sie so darüber nachdachte, was alles hätte passieren können.

 

Als die in Kanada aufgewachsene Sandra G. das erste Mal den Raum betrat, wirkte sie sehr nervös und neugierig. Dies legte sich jedoch schnell als sie anfing über ihre Erlebnisse mit Mut zu reden. Aus der nervösen, neugierigen Frau wurde eine selbstbewusste, Frau, die stärke beweist. Durch offene Handgesten sowie auch mal ein bejahendes oder ein verneinendes Kopfschütteln, verstärkte sie ihre Aussagen und gab ihnen mehr Halt. Sie gab uns gut zu verstehen, dass ihr der Begriff „Mut“ sehr nahe steht und ihr sehr viel bedeutet. Im Großen und Ganzen, kann ich ihre vorherige Aussage, dass sie eine mutige Person ist zustimmen. Sie ist durchaus eine mutige Frau.