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Ein Zwiegespräch

Amir Najafi


Vor zehn Jahren fing alles an…

 

Ich bin Billie und ich war damals ein 17 jähriges Mädchen; ein kleines Mädchen mit blauen Augen und langen blonden Haaren, die total schüchtern und naiv war. Ich hatte nur einen Freund, Sebastien oder Basti, wie ich ihn nannte. Basti war damals schon groß, ich denke ungefähr ein Meter achtzig, und er hatte kurze braune Haare, die immer ohne Haargel waren – etwas untypisch für unsere Zeit, weil das damals total in war.

 

Mein Vater hat damals als Angestellter in einer Firma gearbeitet, der eine wichtige Rolle hatte, denn er reiste oft ins Ausland, um die Bindung zu den Kunden zu pflegen. Meine Mutter war Hausfrau, deswegen ist sie meistens mitgeflogen. Ich war dann oft alleine zuhause. Da meine Eltern Basti schon lange kannten, durfte er immer bei mir übernachten. Wir haben meistens zusammen gelernt. Nachdem wir fertig waren, haben wir zusammen Filme geguckt oder sind in die Stadt gefahren. Ich wohnte direkt an einer Bahnstation, was ein Vorteil war, weil ich nicht weit laufen musste, um in die Stadt zu kommen. 

 

Basti hat mir oft in Mathematik und Physik geholfen. Durch ihn wurde ich in dem Jahr mit Abstand Klassenbeste, meine Lehrerin war total stolz und die Klasse hat ziemlich laut applaudiert. Ich sagte: „Schade, dass meine Eltern nicht da sind, um meinen Erfolg zu sehen.“ Dies hat mich ein bisschen traurig gemacht.

 

An dem Tag kam Anna aus meiner Klasse in der Pause zu mir. Anna hat kurze schwarz gefärbte Haare und zieht sich meistens schwarz an; deswegen wird sie Emo-Girl genannt. Sie sagte mir: „Ey, voll heftig, dass du so gut in der Schule bist; lass mal bei dir feiern, wenn deine Eltern eh nicht da sind, ich kann auch ein paar Leute mitbringen.“ Ich entgegnete, dass ich so etwas noch nie gemacht und noch nicht einmal Alkohol probiert habe. Sie sagte: „Dann wird es aber mal Zeit, ich komme mit meinem Kumpel gegen 20 Uhr zu dir.“ Ich habe sie zuerst nicht ernst genommen, aber in der zweiten Pause habe ich bemerkt, dass viele zu mir kommen wollten und da ich damals zu schüchtern war, um nein zu sagen, sagte ich: “Ok, lass es uns machen.“ Als Basti dies mitbekam war er total dagegen, aber es war zu spät, weil eine Menge Menschen bereits von der Party wussten.

 

Gegen 20 Uhr waren dann die meisten schon da und hatten eine Menge Alkohol dabei. Auf einmal war Anna mit Fabien da, einem großen Jungen mit braunen Augen, er war echt ein hübscher Junge. Er war total selbstbewusst und hat direkt das Eis zwischen uns gebrochen. Und er gab mir Alkohol, er konnte gut mixen, sodass man den Alkohol gar nicht gemerkt hat. Ich habe zum ersten Mal Alkohol getrunken und war schnell total betrunken. Fabian brachte mich in mein Zimmer und schloss die Tür ab, damit uns keiner stören konnte, legte sich dann neben mich. Ich war kein Stück mehr schüchtern, sagte ihm, dass er voll hübsch ist und er sagte, dass ich auch hübsch sei und er küsste mich. Mein erster Kuss! Ich war total glücklich in dem Moment. Ich habe nicht mehr an Basti oder die Gäste gedacht. Am nächsten Tag waren alle weg und ich wusste nicht, wann ich eingeschlafen war und konnte mich kaum noch an etwas nach dem Kuss erinnern. Ach so, und Fabian hat neben mir geschlafen, er hat mir dann Frühstück gemacht und etwas gegen meiner Kopfschmerzen gegeben. Nachdem wir zusammen gefrühstückt hatten, ging er nach Hause, wo er alleine ohne Eltern wohnte, er sagte mir nie wo seine Eltern sind oder warum er alleine wohnt. Er war so nett, dass ich nie daran denken konnte, dass er etwas Schlimmes vor hat…. Er hat mich so gut behandelt, dass ich mich total in ihn verliebt habe und er mir vertrauen konnte, dann erst hat er mir sein kleines Haus mit einem Schlafzimmer gezeigt, dessen Fenster zugeklebt waren, damit keiner seine Drogen sehen konnte beziehungsweise wie er sie verpackte. 

 

Basti kam eines Tages zu mir und sagte mir: „Was ist los mit dir? Ich sehe dich kaum in der Schule und zuhause bist du auch nicht… Sagen deine Eltern nichts dazu?“ Ich sagte ihm, dass es ihn nichts angehe, außer dass ich mit meinem Freund Fabian unterwegs sei. Er sagte nichts und ist einfach gegangen, aber man konnte sehen wie sehr er davon betroffen war. Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass er total in mich verliebt war. Er hat Monate lang nicht mit mir geredet. Damals war es mir egal, weil ich mit Fabian zusammen war, ich war oft auf Drogen und habe nicht gemerkt, dass ich damit mein Leben zerstöre, weil ich nicht mehr zur Schule ging und meine Eltern beklaute oder Drogen dealte damit ich selbst meine Drogen finanzieren konnte. Meine Eltern und Freunde haben mich total ignoriert. Um ehrlich zu sein, war es mir egal, weil ich in meinen Augen den Richtigen getroffen hatte und mit ihm glücklich war. Ich war ein drogensüchtiges Mädchen geworden, weil ich mit Fabian und seiner Gang zu tun hatte. Ein Mädchen, das nur daran interessiert war, woher es seinen nächsten Drogenschub kriegt. Ich, Billie, die mal Klassenbeste war, für die Drogen, Zigaretten und Alkohol ein Fremdwort waren, war total tief gesunken und hatte die Kontrolle über mein Leben verloren.

 

Eines Tages, als ich total high und erregt war, ging ich zu Fabian, um mit ihm zu schlafen, weil manche Drogen dieses Gefühl in einem erwecken. Als ich rein kam, sah ich ihn mit einer anderen im Bett… ich rannte raus und setzte mich an eine Bushaltstelle. Zum ersten Mal nach Monaten habe ich wieder über mein Leben nachgedacht, ich habe gemerkt wie enttäuscht ich von mir selbst bin und wie sehr ich meine Eltern verletzt habe. Als ich nüchtern war, ging ich zurück nach Hause und wollte mit meinen Eltern reden, aber ich hatte keinen Plan. Ich habe die Tür aufgemacht, da stand mein Vater mit seinem Koffer, fragte mich, was ich hier mache, er dachte meine Mutter hätte mich rausgeschmissen und dass ich nicht mehr zuhause wohne. Meine Mutter hat mich immer zuhause schlafen lassen wenn mein Vater auf Reisen war. Meine Mutter sagte ihm, er solle mich reinlassen und mit mir reden, nahm mich in ihre Arme. Ich habe direkt angefangen zu heulen, weil ich gemerkt habe, was für eine schlechte Tochter ich für sie war, aber sie mich trotzdem in die Arme nahm. Ich sagte ihnen, dass ich mit den Drogen aufhören möchte und ich total Hunger habe. Meine Mutter hat mir Essen gemacht. Nachdem ich gegessen hatte, packte ich einen kleinen Koffer und wurde zu einer Klinik gefahren, wo ich meine Sucht bekämpfen sollte. Die Krankenschwestern waren total nett zu mir und waren immer für mich da, wenn ich Schmerzen hatte, mich übergab oder mir kalt oder warm wurde. Es war ein Horror für mich, manchmal war mir so kalt, dass mich nichts warm gehalten hat oder mir so warm, dass ich wie Feuer glühte. Meine Hände haben total gezittert und ich hatte auch oft Angstzustände. Aber ich habe durchgehalten, weil ich meine Eltern wieder stolz machen wollte.

 

Nachdem ich wieder clean war, ging ich nach Hause, um meine Mutter zu überraschen. Als sie mich vor der Tür sah, war sie total froh, mich zu sehen. Mein Vater war wie immer nicht zuhause. nach dem Essen bin ich sofort zu Basti gegangen, um mich bei ihm zu entschuldigen und hoffte, die Freundschaft wieder aufzubauen, die ich durch meine Fehler zerstört hatte und sicherlich Basti verletzt hatte, deswegen habe ich ein Buch aus seiner Lieblingsbuchreihe gekauft. Ich bin also zur Tür und habe geklingelt und wartete, dann kam er raus, hat mich einfach umarmt ohne ein Wort zu sagen. Ich war so glücklich, dass ich aus Freude Tränen weinte.

 

Er hat mir verziehen und wir gingen wieder zusammen in die Stadt oder waren zusammen Essen. Je mehr Zeit verging, desto mehr habe ich mich von ihm angezogen gefühlt, bis ich eines Tages zu ihm ging, seine großen Händen hielt und ihm sagte, dass ich ihn liebe. Er hat mir tief die Augen geschaut und sagte, dass er mich schon seit Jahren liebte und sich nie getraut hatte, seine Gefühle zu zeigen.

 

Ja, mein Kind, wir kamen zusammen. Ich bin wieder zur Schule gegangen und habe meinen Abschluss gemacht. Ich habe mich dann für eine Ausbildung beworben. Als ich meinem Chef von meiner Sucht erzählte und wie stark mein Wille sein kann, wurde ich angenommen und ich arbeite immer noch da. Als Basti und ich genug Geld gespart hatten, sind wir zusammengezogen. Vor drei Jahren hat er mir am Valentinstag mir einen Heiratsantrag gemacht und vor einem Jahr haben wir geheiratet. Wir wohnen jetzt in unserem Haus mit einem kleinen Garten, in dem wir Blumen und ein wenig Gemüse gepflanzt haben. Unser Haus ist weder groß noch klein, es ist ein gemütliches Haus mit 2 Schlafzimmern und einem mittelgroßen Wohnzimmer, wo unser Fernseher und unsere Möbel stehen, wo wir immer noch zusammen Filme oder Serien gucken. Ich habe unser Zimmer gelb angestrichen, weil es meine Lieblingsfarbe ist. Das andere Schlafzimmer haben wir blau angestrichen und auch schon ein süßes kleines Bett mit Spielzeugen hineingestellt.

 

Am Anfang hatte ich Angst vor der Schwangerschaft, aber jetzt bin ich im sechsten Monat und rede gerade mit dir. In drei Monaten bist du dann hier auf dieser Welt. Ich freue mich so sehr darauf, dich in meinen Armen zuhalten, weil du das Wertvollste in meinem Leben sein wirst und weil ich dich immer lieben werde.

 

So, da kommt dein Vater von der Arbeit, deswegen muss ich aufhören mit meinem Bauch zu reden, sonst denkt er, dass ich verrückt geworden bin. Ich hoffe, dass ich eines Tages den Mut haben werde, dir diese Geschichte zu erzählen, wenn du geboren und alt genug bist, um sie zu verstehen ohne mich zu verurteilen.