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Der Gast

Madeleine van Ingen

Die glücklichen Gewinner des Schreibwettbewerbs „Leben in der Quarantäne“. 

Jede*r Gewinner*in erhält einen Buchgutschein über 40 Euro.


Der Geruch von warmen Laub umspielte die Luft und sie merkte wie Sonnenlicht und Schatten auf ihrem Gesicht tanzten und ihre Haut in der einen Sekunde in eine gemütliche Wärme tauchten, in der nächsten jedoch in eine eisige Kälte, wärend sie den Wind durch die Blätter rascheln hören konnte. Die Erde unter ihren Füssen war sanft und weich, doch unangenehm steinig zugleich. Sie blieb in einem Fleck Sonne zwischen den ganzen Bäumen stehen, schloss entspannt die Augen und richte ihren Blick Richtung Himmel. Als gerade eine sanfte Briese ihre Haare mitfliegen ließen und sie ihre Arme in der frische des Windes ausbreitete, konnte sie in nicht so entfernten Bäumen ein paar Vögel friedlich zwitschern hören. doch sie wurden unruhiger, fast schon hektisch als ein rascheln zwischen den Büschen, ein Trampeln auf der trockenen Erde hinter ihr immer näher kam.

 

Aus irgendeinem Grund bewegte sie sich nicht von der Stelle. Kein Muskel schien sich zu regen, als sie nun hörte, wie die Schritte erst erloschen doch dann im erhöhten Tempo auf sie zu gehetzt kamen. Die Schritte schienen sich zu verdoppeln, vervierfachen. Doch sie bewegte sich nicht. Jedoch nicht aus Angst, nein, alle ihre Muskeln waren tiefen entspannt. Ihr Gesicht war weich, Augen geschlossen, und blickte immer noch Richtung Himmel, Arme in der Sonne ausgebreitet.

 

Sie spürte keine Furcht. Sie fühlte sich geborgen, sicher. Als könnten die Wesen sie nicht ereichen. Fast schon hörte sie das Grunzen und Röcheln der Wesen. Sie hatte noch nie hinter sich geschaut, weshalb sie nicht genau wusste wie viele es tatsächlich waren und was es eigentlich genau war was sie jede Nacht fast erfasste und fraß. Einmal atmete sie noch die warme Sommerluft ein, sie konnte den Geruch des Laubes schon schmecken. Als sich ihr Rücken gerade streckte schien sie ihrem Schicksal entgegen zu lächeln. Gerade als ihr Schicksal kurz davor war sie zu fassen, schossen ihre Augen auf. Ihr Herz raste, dennoch schien sie ruhiger als vor Monaten, als dieser Traum ihr zum ersten Mal die Nacht stahl. Ruhig richtete sie sich auf und drückte au den kleinen weißen Knopf auf ihrem grauen kleinen Nachttisch – der wie es schien die selbe Farbe hatte wie der Rest ihres „Zuhauses“- , durch den sich alle Räume in einem weißen Licht erhellten.

 

Ihre ersten Schritte nach dem Aufstehen führten sie wie jeden Morgen zu dem Kalender, von dem sie noch Zahlreiche im Schrank hatte, und hakte den heutigen Tag ab. „Tag 174.“, las sie sich vor und seufzte. Es musste nun Mitte bis Ende Sommer sein. Und wie jeden Morgen ging sie durch die grauen Gänge in die graue Küche und machte sich einen Kaffee. Vermutlich bildete sie sich das nur ein, doch aus irgendeinem Grund schmeckte er viel besser als vor diesen Ganzen Tagen. Und wie jeden Tag machte sie Musik an, die sie gar nicht mochte und Machte Inventur. Wie jeden Tag machte sie die Musik nach wenigen stunden aus, weil sie schon zu viel davon hatte und wie jede Woche, jeden Monat, bestand ihr essen aus irgendwelchen Dosenbohnen und einer Pampe, die Ersatz sein soll für Alles was der menschliche Körper so benötigt, aus abgepackten Portionen in Pulverform nur mit Wasser gemischt wird und Schmeckte wie verdorbene Eier. Der Geruch jedoch war fast schon unangenehm metallisch.

 

Und wieder ging sie Schlafen. Wieder träumte sie den selben Traum, wieder war sie im Wald, wieder wurde sie fast attackiert. Wieder wachte sie auf. Und wieder hakte sie den Kalender ab. Wieder und wieder.

„Tag 175“

„Tag 176“

„Tag 187“

„Tag 298“

 

Und gerade als sie wieder einmal das Inventar überprüfte, in dem Raum hatte es schon immer irgendwie unangenehm gerochen, und wie jeden Tag notierte, dass sie noch für Jahre versorgt sein würde, heute hatte sie keine Musik laufen, stockte ihr Stift und ihr gesamter Körper schien gefroren. Irgendjemand, irgendwas hatte an der Luke zu ihrem Bunker, der auch noch mitten im Wald, mitten im Nirgendwo, wo keine Menschen weit und breit lebten, geklopft. Vielleicht hatte sie es sich ja nur eingebildet? Ihre Hand umklammerte fast schon den Stift. Das einzige was sie hörte war ihr Atem und ihr Herz, welches sich langsam beruhigen zu schien. Sie atmete durch. Sie hatte es sich nur eingebildet. Hier war immerhin weit und breit keine Seele. Doch da hörte sie es erneut. Irgendjemand hatte schon wieder geklopft. Doch dieses mal wusste sie einfach, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Langsam lies sie die Liste sinken und bewegte sich in Richtung dieses unmöglichen Geräusches. Schon wieder. Sie zuckte zusammen. Vor der Scheibe, die den Eingang und den Rest des Bunkers trennte, blieb sie stehen. Sie unterbrach ein weiteres Klopfen und schaltete schnell die Kamera an. Auf einem kleinen Bildschirm neben ihr tauchte der Wald auf, der die Umgebung voller grüner Blätter unter strahlendem Sonnenschein schmückte. Jedoch war auch deutlich zu sehen, wie eine junge Frau mit einer Art Gasmaske, auf dem Boden hockend, sich etwas hektisch umschaute und erneut klopfte. Und obwohl sie sah wie die Fremde klopfte, zuckte sie bei dem Geräusch dennoch zusammen. Erneut drückte sie einen Knopf und mit einem etwas quietschendem Zischen öffnete sich langsam die Klappe, durch die langsam eine Gestalt herunterkletterte, bevor die Klappe sich erneut schloss. Sofort ertönte ein lautes Rauschen. Die Haare der jungen Frau wirbelten durch die Luft als diese gefiltert wurde. Erst nachdem die Luft sich beruhigt hatte öffnete sich die Glastür. Erst stand die Gestalt jedoch nur da und blickte zu Rachel.

 

Etwas unsicher stand sie mit Verschränkten Armen da und beobachtete wie die Unbekannte in den raum trat. Sie nahm mit einer geschickten Bewegung ihre Maske ab und streckte Rachel eine Hand hin.

„Vielen dank fürs rein lassen. Mein Name ist Charel." Rachel jedoch, skeptisch, blickte sie hinterfragend an und ohne die Hand anzunehmen fragte sie: „Was wollen sie hier?“ Als sie merkte, dass ihre Begrüßung wohl nicht erwidert werden würde, zog die geheimnisvolle Fremde, um die sich die Fragen zu weben begannen, die Hand zurück. „Ich war auf der suche nach etwas Essbarem, als diese Gruppe von infizierten Wild mich verfolgt hat. Ich konnte sie abwimmeln, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich wieder aufgespürt hätten.“ Mit einem Blick auf den Monitor gerichtet stellte Rachel fest: „Sieht aus als wären sie weg, sie können also jeden Moment wieder aufbrechen und ihre Suche fortsetzen.“ Etwas sprachlos blickte der Neuankömmling zu Rachel, die sie ernst anschaute. Ein leises Knurren unterbrach die Stille. „Könnten sie mich vielleicht etwas länger erdulden und mir etwas zu Essen geben? Ich habe all meinen Proviant verloren.“ Rachel musterte die junge Frau. sie musste in etwa das Alter wie sie selbst haben. „Wäre ich infiziert hätte ich sie doch längst angegriffen, oder sie wären doch schon längst selber infiziert.“ Da hatte sie allerdings Recht. Seit der Virus ausgebrochen war, lag die Welt im Chaos, und da sich dieser Virus, genannt „Der Virus Z“, alleine über die Luft übertrug, verbreitete sich dieser rasend schnell. Er machte jeden verrückt, ob Mensch oder Tier, er brachte diese zum Durchdrehen. Menschen attackierten einander, aßen einander oder wurden von Blut lüsternen, sonst friedlichen Tieren angegriffen. „Na gut.“ Rachel drehte sich um, ging in die Küche, gefolgt von dem Neuling und machte zwei Portionen Bohnen, wie auch zwei Portionen des ungenüsslichen Pulvers. „Woher hast du das ganze Zeug?“, sagte Charel beeindruckt. „Ich habe für die Firma gearbeitet die den Virus entwickelt hat. Man wollte jedoch, für den Fall, dass etwas schief geht, einen Ort haben, wo sich die schlauen Köpfe dahinter, davor verstecken können.“ „Und etwas ist schief gegangen, oder Rachel?“ Rachel nickte. „Und wo sind die Anderen Rachel?“ Rachel blickte verwundert zu der Neuen. „Natürlich in anderen Bunkern, die auf dem Gelände verteilt sind.“ „Ach ja? Und wieso hast du dann so viel Vorrat? Für eine Person würde das ja gefühlte Jahrhunderte reichen, aber für ein Team von fünf… So viele wart ihr doch, oder?“, Charel schaute ihr eindringlich in die Augen und legte den Kopf mit einem leichten Grinsen schief. „Woher weißt du das? Warte… ich habe dir meinen Namen gar nicht gesagt..“ Vorsichtig schaute Rachel die Unbekannte an, die ihr irgendwoher bekannt vorkam und steht langsam auf. Ohne auf ihre Fragen zu antworten redet sie weiter. „Und weshalb stehen in deinem Zimmer noch vier andere Betten? Oder sind sie dir nie aufgefallen? Hast du dich etwa noch nie gefragt, weshalb es im Inventarraum so riecht? Es stinkt als wäre darin etwas gestorben. Habe ich recht?“, ihr Grinsen wurde dunkel, ihr Blick wirkte fast schon verrückt.

 

„D-Du bist infiziert. Du redest Sachen die keinen Sinn ergeben!“ „Nein.“, langsam stand auch sie auf und ging einen Schritt auf Rachel zu, „Du bist infiziert Rachel. Hast du das etwa schon vergessen?“ „Was vergessen?“, fragte Rachel, ihre Furcht war hörbar, ihre stimme schien zu Zittern. „Woher kennst du meinen Namen?!“ Charel begann zu Lachen. „Sag mir nicht, du hast es immer noch nicht verstanden. Ich BIN du Rachel. Du, eine der klügsten Menschen des Landes, die Frau die hinter dieser Apokalypse steckt, hat nicht gemerkt, dass Charel ein Anagramm für Rachel ist.“, sie musste wieder herzlich lachen. „N-nein. Das geht nicht. Du bist doch gerade eben erst..“ „Was? Gekommen? Und was hast du auf dem Bildschirm gesehen? Eine junge Frau im Kittel im Hochsommer mit Maske? Genauso wie du vor all den Tagen?“, sie legte eindringlich die Hände auf Rachels Schultern. „Wir haben Winter, Rachel. Und das neben der Paste sind keine Bohnen. Hast du dich nie gefragt, warum die Bohnen so nach altem Fleisch schmecken?“, sie grinste, während Rachels Kopf zu dröhnen begann. „Nein…sie haben alle einen eigenen Bunker…das kann nicht sein…“ „Oder war es doch so: Als du her kamst, ließen sie dich rein. Doch es war schon zu spät…Du warst schon infiziert. Kurz darauf wurdest du verrückt, doch sie konnten dir nicht mehr entkommen. Du hast sie alle getötet.“ Rachels Blick schnellte zum Tisch auf dem jedoch nur ein einziger Teller stand, beim Anblick vom Inhalt jedoch wurde ihr Schwindelig. „Na? Siehst du immer noch Bohnen?“, grinste die junge Frau, die nicht nur aussah wie Rachel, sondern auch als würde sie beginnen zu verblassen, und lies Rachel los. „Na los, schau im Lagerraum nach.“

 

Fast schon taumelnd ging Rachel, sich an den Wänden festhaltend, ihr kam es vor, als würde sich alles drehen, zur Tür des Inventarraumes und hielt sich die Hand vor den Mund als ihr ein bestialer Gestank entgegen schlug, der so stark war, dass ihr die Tränen kamen. Sie merkte wie ihr das Frühstück hoch kam, als sie realisierte, dass eben dieses Frühstück und die der letzten Wochen, aus eben diesen Menschen bestand, die dort im Lager, fast schon bis auf die Knochen zerfressen und von der Zeit vergammelt auf dem Boden lagen. Sie schnellte herum um zu sehen, dass sie komplett alleine war. Sie begann sich zu erinnern, wie sie die ganze Zeit mit sich selbst geredet hatte. Ihr Schweiß war kalt, ihr Kopf schmerzte und alles drehte sich. Sie schaute an sich hinab, wo altes, fast schon schwarz gewordenes Blut ihre Kleidung schmückte. Sie schluckte. Ihre Augen drehten sich nach hinten und sie wurde Ohnmächtig, als ihr klar wurde, dass sie Eins mit den Monstern aus ihren Träumen geworden war.

 

Madeleine van Ingen – 16 Jahre