Piet Jeske
Die glücklichen Gewinner des Schreibwettbewerbs „Leben in der Quarantäne“.
Jede*r Gewinner*in erhält einen Buchgutschein über 40 Euro.
Als Hans von der Ausgangsbeschränkung hörte, konnte er es gar nicht glauben. Es dauerte eine Weile, aber dann verstand er, was das jetzt alles für ihm bedeutet. Man kann sich kaum vorstellen wie
sehr er sich freute. Es war wie ein Traum. Er nahm sich seinen Kalender und einen roten Stift. Er kreuzte alle Termine weg. Egal ob alte Schulfreunde mit denen er sich treffen musste oder das
Essen mit der Schwiegermutter. Zu ihr hatte er schon immer einen schlechten Draht gehabt, wie eigentlich zu seiner ganzen Familie. Aber an Hans lag es natürlich nicht.
Einen nach dem anderen rief er die Leute an und erzählte ihnen, wie sehr es ihm leid täte, dass man sich jetzt nicht mehr treffen könne. Und das Schöne war, dass sie wegen der jetzigen Situation
ja alle vollstes Verständnis hatten. Später am Tag kriegte Hans einen Anruf von der Arbeit, mit dem man ihm mitteilte, dass er jetzt ins „Homeoffice“ gehen sollte. Für ihn war natürlich klar,
dass das heißt, dass er nichts mehr machen muss. Denn ohne seinen schreienden Chef sah er wirklich keinen Grund dazu. Es war die Chance seines Lebens, endlich mal Ruhe vor der ganzen Welt zu
finden. Er wolle nur noch zuhause sein und gar nicht mehr rausgehen. Das hielt er eh schon immer für eine ätzende Last im Leben. Rausgehen braucht kein Mensch… Sofort suchte Hans nach einem
Supermarkt, der auch direkt vor die Haustür liefert und er wurde fündig. Nachdem er das geklärt hatte, brauchte er sich um nichts anderes mehr zu sorgen. Ab jetzt konnte er problemlos zuhause
bleiben. Herrlich.
Es sind jetzt ein paar Wochen vergangen und Hans lebt zufriedener denn je, alleine, nur in seiner Wohnung. Jeden Morgen guckt er den kleinen Riss über seinem Bett an, jeden Montag bekommt er die Lebensmittel vom Supermarkt geliefert und jeden Abend informiert er sich darüber, ob die Ausgangsbeschränkungen verlängert werden (er freut sich natürlich jedes Mal, wenn dies der Fall ist). Das sind für ihn die einzigen festen Termine in der Woche. Ansonsten macht er, worauf er grade Lust hat und wofür er sonst keine Zeit finden würde. Er läuft einen Marathon durch den Flur, baut seine Zimmer um, bastelt etwas aus Büchern, die er nicht leiden kann, komponiert einen Song, kocht 5-Gänge-Menüs für sich alleine, versucht seinen PC umzuprogrammieren, näht sich Masken für zuhause, malt ein Gemälde, feiert eine Party alleine, eröffnet ein Fitnesstudio, baut Dominosteine durch alle Zimmer und dreht eine Doku über seine Wohnung. Alles war super, außer vielleicht die Party, denn da kamen zwei Polizisten vorbei und klingelten an seiner Tür. Er hat dann das Licht ausgemacht und eine Stunde lang so getan als wäre er nicht da. Dann waren sie auch irgendwann wieder weg. Je mehr er machte, verstand er immer weniger, was den anderen so gefiel daran fast immer unterwegs zu sein. Und dann auch noch die ganzen sozialen Kontakte. Schrecklich.
Der Riss ist größer geworden. Es sind schon ein paar Monate vergangen und Hans ist immer noch total mit der Situation zufrieden. Allerdings hat er schon so viel getan, dass die Sachen langsam etwas verrückter werden Er betreibt Bungee Jumping vom Kleiderschrank, fischt in den Abwasserrohren, führt Experimente, die mit „Nicht nachmachen!“ gekennzeichnet sind zuhause durch, oder spielt Bowling mit Altglas als Kegel und einem Kohlkopf als Kugel. Immer öfter klopfen Nachbarn. Den Dicken von unten hört Hans manchmal besonders laut vor seiner Tür rumschreien. Er kann nicht verstehen was los ist. Es scheint fast so als hätte sich das ganze Haus gegen ihn aufgestellt. Aber Warum? Das ist die Frage… Es gibt diese eine riskante Situation in der Woche. Am Montag Nachmittag muss er einmal kurz die Tür öffnen, um seine bestellten Einkäufe schnell reinzutragen. Er beobachtet erst mal mindestens 10 Minuten, aus dem Spion, ob auch wirklich keiner seiner verrückt gewordenen Nachbarn einen Angriff auf ihn plant. Früher oder später überwindet er sich dann. Zum Glück.
Ein paar Jahre sind vergangen und die Ausgangsbeschränkung ist längst aufgehoben. Hans hat sich aber nicht mehr raus getraut, denn mittlerweile ist er berühmt geworden, als der Mann der seine Wohnung nie verlässt. Draußen stehen ein Dutzend Journalisten, die darauf warten, dass er es vielleicht doch noch mal tut und sie dann die Bilder davon haben. Hans aber liegt einfach nur noch im Bett. Die Ideen sind ihm ausgegangen. Seine ganze Wohnung ist zugemüllt, wegen all der Sachen die er mal angefangen, aber bei denen er dann schnell die Lust verloren hat. Das restliche Haus steht leer, denn die anderen Bewohner haben den Pressetrubel vor ihrer Tür nicht mehr aushalten können. Am Abend hofft er, dass sie morgen das Interesse verloren haben und mit ihren Kamera und Übertragungswagen, dass Weite suchen.
Am nächsten Tag wacht Hans auf und schaut an die Decke.
Der Riss ist fast zwei Meter lang.
Er schließt wieder die Augen.
„Ich sollte mal den Maler holen…“
– Piet Jeske