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Hilfe aus der Vergangenheit

Leonie Fuhr

Die glücklichen Gewinner des Schreibwettbewerbs „Leben in der Quarantäne“. 

Jede*r Gewinner*in erhält einen Buchgutschein über 40 Euro.


Hi! Ich heiße Sophie, bin 16 Jahre alt und lebe in Hamburg. Ab heute beginnt mein zweites Schulhalbjahr der 10. Klasse. Normalerweise freue ich mich selten auf etwas, doch heute habe ich das Gefühl, dass es ein guter Tag werden könnte. Doch ich wurde schnell eines Besseren belehrt. Ich sitze wie üblich in meinen schwarzen Klamotten an meinem Platz und schaue zur Tafel. Vor ein paar Tagen bekam ich einen Schnupfen. Ja, sowas ist nie schön, gerade jetzt zu Corona-Zeiten, aber man muss ja nicht immer gleich das Schlimmste denken… Wie sagt die Presse es so schön? „In der Corona-Krise“ Viele Menschen sind schon daran gestorben. Angeblich, weil sie vorerkrankt waren. Nur aus irgendeinem Grund erfahren wir Bürger überhaupt nichts mehr. Die Presse berichtet zu diesem Thema überhaupt nichts mehr, als würde man es ihr verbieten! Meine Eltern streiten sich deswegen oft. In der Firma meines Vaters müssen viele in Kurzarbeit gehen. Sie haben alle Angst um ihren Job und fragen sich, ob das Leben, so wie wir es kennen, weitergehen wird. Kaum habe ich meine Gedanken zu Ende sortiert, stürmen Männer in die Klasse rein. Sie sind schwarz gekleidet und schwer bewaffnet. Sie tragen geschlossene Atemmasken, man sieht keine Gesichter. Ihre Stimmen klingen schrill und jagen einem Angst ein. „Alle bleiben wo sie sind!!! Diese Klasse steht unter Quarantäne! Verdacht auf Corona!“ Meine ersten Gedanken sind: Tief durchatmen. Nicht in Panik verfallen. Wir werden in 5er-Gruppen nach draußen gebracht. Draußen sind viele Eltern, man hat also schon die Eltern der Kinder zur Schule gebracht, jetzt bekomme ich noch mehr Angst. Schnell blicke ich mich um, ob meine Eltern irgendwo sind. Jedoch kann ich sie nicht entdecken. Um mich herum sind einige Schüler, die ziemliche Panik schieben. Die Männer stecken uns in einen Bus. Wo wir hinfahren, weiß ich nicht, aber hoffentlich dauert das nicht allzu lange.

 

Wie lange wir schon gefahren sind, weiß ich nicht, ich musste wohl eingenickt sein. Als wir anhalten, kommt ein Mann und brüllt uns an „Also hört mir jetzt genau zu, denn ich werde mich nicht wiederholen!! Ihr werdet aufgerufen und in einen Raum untergebracht!!! Also fangen wir an.“ Während man die Namen aufruft, kann ich mich umschauen. Wir sind auf jeden Fall auf einem Militärgelände. Sophie aus der 10a !!“ Ich trete vor und werde von einem Mann, der auch in Schwarz gekleidet ist, zu einem Raum gebracht. Ich schaue den Mann an: „Wie lange soll die Quarantäne denn dauern?“ Keine Antwort. Eine Tür geht auf und mir klappt mein Mund weit auf. Der Raum ist ein perfekter Nachbau meines Zimmers, sogar meine Manga-Poster-Original-aus-Japan hängen an der Wand! Jedoch, warum ist dort ein riesiger Spiegel da hinten in der Ecke? Ich trete ein und hinter mir wird die Tür zugemacht! Shit! Sieht wohl so aus, als würde ab heute der erste Tag meiner Quarantäne stattfinden! Essen bekommen wir durch einen Schlitz, wie man es in den Gefängnissen kennt. Toiletten gibt es im selben Raum sowie ein Waschbecken. Es ist wirklich eine Arrestzelle. Nun lege ich mich ins Bett, damit der Tag vielleicht ein Ende nimmt.

 

Tag 2 der Quarantäne. Ich will nicht aufstehen. Doch was ist das für ein Geräusch? Auf einmal bin ich doch ziemlich neugierig. Meine Augen öffnen sich. Nichts zu sehen, bis auf… Was schaut mich da im Spiegel an? „Endlich! Ich dachte schon du würdest gar nicht aufwachen!“ Nach diesem Satz verstummt es auch wieder. Habe ich mir das nur ein gebildet? Meine Beine gleiten aus dem Bett und gehen zum Spiegel. Das, was ich gesehen hab, ist nun wieder weg. War da wirklich ein Mädchen im Spiegel?! Ich spüre förmlich, wie es in meinem Kopf rattert. Mein Verstand versucht verzweifelt eine Lösung zu finden. Da geht auch schon die Tür auf. Mein Körper fängt an zu zittern. Ich schwitze so, wahrscheinlich vor Angst. Das, was mich an der Tür anguckt, sind zwar Menschen. Doch ihre Körper sind in Anzüge gesteckt, so dass man nicht mal ihre Gesichter erkennt. Ich sehe nur mein Gesicht, das sich widerspiegelt und das ganz klar zeigt, dass ich Angst habe. „Sophie?“ Ich schlucke:“ Ja?“

 

„Weißt du, warum ich hier bin?“ verunsichert wie ich immer werde, wenn ich Angst habe, schüttle ich trotzdem den Kopf. Der Stimme nach zu urteilen, ist es ein Mann. Vielleicht ein Arzt? Da geht mir etwas durch den Kopf. Ich sollte keine Angst zeigen, sonst wird die Situation nur schlimmer. „Ich bin hier, weil ich dich untersuchen soll, ob du infiziert bist.“ In meinem Kopf rotiert es. Infiziert? Ich habe doch keine Symptome oder so? Oh bitte, ich möchte hier nicht festsitzen! „Also denn, schauen wir mal. „Hmm, was soll denn ein Stäbchen damit zu tun haben?“ „Nun, das könnte vielleicht etwas unangenehm werden. Ich werde dir das sehr tief in die Nase stecken, okay?“ Das soll jetzt ein Scherz sei. Oh, das ist verdammt kalt. „Autsch!“ „Siehst du, schon vorbei.“ Für wen hält der sich denn?! Super, jetzt haut der wieder ab! Was soll ich jetzt tun? Oh man! Zum ersten Mal wünsche ich mir, dass ich mein Handy dabei hätte. Dann könnte ich Mama jetzt schreiben. Vielleicht sollte ich mich nochmal hinlegen. Ein wenig Schüttelfrost habe ich, aber ich denke, das hängt mit der Situation zusammen. Mein Kopf tut auch arg weh.

 

„Pssstt!!…. Hey! Wach auf!“ Was war das? Schon wieder diese komische Stimme… Egal.

 

„So… Sophie wir haben dich getestet“ Oh Gott, jetzt mach‘ es nicht so spannend. „Bedauerlicherweise bist du positiv getestet worden. Du musst leider fürs Erste hierbleiben.“ Irgendwie ist mir jetzt schlecht. Super, jetzt muss ich auch noch niesen. Das macht es jetzt wirklich noch schlimmer. PFFFF!!! Was war das denn!? Der Arzt hüpft wie ein Hase, weil ich niesen musste:“ Warten Sie! Wie lange soll ich denn nun hierbleiben?“ Super! Echt super! Nun gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Ich werde an diesem Virus sterben. Zweitens: Ich werde in diesem Raum durchdrehen. Oder ich werde drittens verhungern, weil ich nichts Anständiges zu essen bekomme. Ich setze mich auf mein Bett und denke darüber nach, wie es meinen Eltern gehen könnte. Komischerweise waren sie nirgends zu sehen. Hören tut man auch nichts. Aber dass ich wirklich komplett alleine sein soll, glaube ich nicht. Ich fange an und suche das Zimmer ab. Ich stehe vor dem alten Spiegel, wo ich mir eingebildet hatte, dort würde ein Mädchen stehen. Hinter dem Spiegel finde ich eine Art Luke, die sich öffnen lässt. Ich stecke vorsichtig meinen Kopf hinein, alles dunkel. Ich nehme mir eine Lampe aus meinem Zimmer und lasse sie runter. Ein kleiner Raum mit einer Tür. Ich klettere hinunter. Die Tür ist nicht verschlossen, ich öffne sie. Als ich die Tür öffne, wird es auf einmal so hell, dass ich nichts mehr sehen kann. Ich schließe meine Augen und gehe weiter. Ich halte meine Hände vor die Augen. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnen haben, traue ich meinen Augen nicht. Ich bin mitten im Urwald, jedenfalls sieht es so aus. Bäume, die dicht nebeneinander stehen. Ich höre Vögel, zirpen, klacken, naja, so wie wir es kennen, überall ist Leben. Es riecht nach Blumen und überall hängen Früchte. Ich gehe ein wenig, an einem sehr alten Baum, der ein wenig aussieht wie ein Mammutbaum, liegt ein weißes Fellknäuel. Ich gehe direkt darauf zu und plötzlich hebt es seinen Kopf und kommt auf mich zu gerannt, als es mich sieht. Ich bekomme erst ein wenig Angst, aber dann fühle ich irgendwie, dass es mir nichts Böses will. Ich bücke mich und sehe, dass es eine Mischung aus Fuchs und Katze ist. Seine Augen funkeln hellblau. Es macht Anstalten, mir etwas zu zeigen und ich laufe also hinter ihm her. Wir laufen eine lange Zeit. So langsam mache ich mir Gedanken, sollte ich vielleicht doch lieber zurückgehen? Nicht, dass ich Angst vor Ärger gehabt hätte, aber… auf der anderen Seite, wer hat mich denn eingesperrt? Je tiefer wir in diesen Wald gehen, desto mehr Tiere kommen zu uns. Als würde sie mich irgendwie begleiten wollen. Ich fühle mich gut aufgehoben, meine Angst verschwindet. Ich habe das Gefühl, je weiter ich gehe, desto so leichter fällt mir alles. Wir kommen irgendwann zu einer großen Lichtung. Dort ist es wunderschön. Überall sind Lichter in allen Farben. Tiere wie der kleine Fuchs, sie alle stehen dort und schauen zu etwas. Es ist ein riesiges Tor. Es schimmert in allen Farben. Das Tor scheint in den Himmel zu reichen. Es macht den Eindruck, als sei es unendlich in den Himmel gebaut worden. Und die Tiere und auch einige Menschen, die ich mittlerweile gesehen habe, stehen davor und scheinen darauf zu warten, dass es sich öffnet. Ich schaue auf meine Füße und mir wird auf einmal komisch. Bin ich tot? Sollte das das Himmelreich sein? So ein Blödsinn, ich bin doch eben noch im Zimmer gewesen und habe mit dem Arzt gesprochen. Diese Welt hier aber hat mit der unseren nichts zu tun. Träume ich vielleicht? Ich haue mir einen Ast an den Kopf, scheiße, man, das tut weh, ne, ich fühle ja was. Allerdings muss ich sagen, dass ich seit einiger Zeit heftige Halsweh habe, Ich huste viel, als hätte ich ständig was im Rachen. Ich kann nur schlecht schlucken. Und dass ich den ganzen Tag keinen Hunger hatte, finde ich komisch. Aber tot, nein, das kann nicht sein. Ich setze mich auf den Boden. Der weiße Fuchs kommt zu mir und kuschelt sich an mich. Ich streichle ihn und sage: „Verrate du mir doch, wo ich bin und was das alles soll. Natürlich antwortet er nicht, aber er zeigt auf einen Weg, der etwas abseits dieser Lichtung liegt. Er führt vom Tor weg. Ich stehe auf und gehe dorthin. Alle Menschen und Tiere, die vor dem Tor stehen, bemerken mich überhaupt nicht. Als wäre ich Luft, naja, schon creepy das Ganze. Geh weiter, denke ich. Der Weg führt wirklich vom Tor weg, und man sieht, dass das helle Licht und auch die Natur verschwinden und der Weg steinig wird. Er wirkt fast dunkel. Ich schlucke. Mein Hals tut schon weh. „Na, kommst Du mit mir, wenn ich dort runter gehe?“ frage ich den Fuchs. Er nickt, als würde er mich verstehen. Ich drehe mich um und sehe dieses Tor. So etwas Wunderschönes habe ich noch nie gesehen und es zieht mich an dort hinzugehen. Ich schaue zu dem kleinen Weg hinüber. Was mache ich jetzt? Entweder warte ich, bis das Tor sich öffnet, oder ich gehe weiter… Hm, mein Kopf sagt: Warte. Mein Herz aber will, dass ich weitergehe. Also gehe ich voller Abenteuerlust den Weg. Was soll schon passieren? Der kleine Fuchs hält mit mir Schritt. Wir gehen ein paar Stunden und es wird dunkler. Keine Natur, Bäume oder Tiere sind mehr zu sehen. Es scheint, als würde das Leben hier nicht existieren. Mein Fuchs verändert seine Farbe. Aus weiß wird immer mehr ein feuerroter Ton und ja, manchmal scheint es so, als würde er leuchten, sein Schwanz sogar leicht brennen. Aber seine Augen sind nach wie vor hellblau und funkeln. Meine Halsschmerzen gehen langsam weg. Ich habe aber Abdrücke auf meiner Brust. Sie sind kreisrund. Komisch, woher die wohl kommen? In dieser Welt ist aber alles merkwürdig, also denke ich mir nichts dabei. Der Weg scheint zu enden. Aber er endet nicht in einem riesigen Tor, sondern in einer Höhle. Ihre Öffnung ist klein, man muss hineinkriechen, mein kleiner Freund geht sofort durch. Das Tor macht mir keine Angst, diese Öffnung allerdings schon. Mein Herz bummert und ich bekomme eine Gänsehaut. Mein Brustkorb tut weh. Es ist als würde ist, …als würde man mir Stromschläge verpassen. Toll, jetzt bin ich so weit gelaufen und traue mich nicht weiter! Wieder setze ich mich auf den Boden. Mein kleiner Freund kommt zu mir. Irgendwie wähle ich immer den falschen Weg. Was mache ich jetzt? Er schaute mich an und in seinen Augen sehe ich etwas, das mich an zuhause erinnert. Dieser Fuchs kommt mir auf einmal so vertraut vor: „Sag mal, kennen wir uns?“

 

Ja, ist klar, ich spreche mit einem Fuchs. Ich streichle ihn. Ach, du bist jetzt so weit gekommen, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich stehe auf und krieche in die Höhle. Es wird schrecklich warm. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich krieche, aber es ist sehr lange. Ich schlafe auch immer wieder ein. Irgendwann wird die Öffnung größer und die Höhle öffnet sich. Ich komme zu einem großen dunklen Tor, nur dass es keines ist. So etwas sieht man öfter. Schnitzereien wie bei den alten Kirchentüren, nur, dass hier keine Engel, sondern Skelette drauf sind. So hell und positiv das eine wirkt, so dunkel ist es hier. Ja, ist klar, also eben war das der Himmel und nun krieche ich freiwillig in die Hölle. Mein kleiner Freund ist immer noch da. Er setzt sich direkt vor mich hin. „Hey, du hast mir den Weg gezeigt, jetzt sag mir, was soll das alles hier?“

 

Es scheint, als lächle er. Er stupst mich mit seiner Nase an. Er schaut mir tief in die Augen und sagt: „Es ist Zeit, dass du nun dich auf den Weg machst.“ Und er zwickt mich in den Fuß. Ich fühle mich auf einmal sehr müde und lege mich hin. Ich habe wieder dieses Gefühl, als würde man mir jemand in die Brust zwicken, ich schließe meine Augen, es wird alles schwarz. Ich höre auf einmal: „Wir brauchen mehr Adrenalin! Ladet die Pads auf!“ Mein ganzer Körper zuckt. Ich mache meine Augen auf. Ich bin in einem Krankenhaus. Es stehen viele Ärzte um mich herum. Ich verstehe nicht, ich war doch gerade ganz woanders. Habe ich etwa geträumt? „Hey Sophie hörst du mich? Hast uns aber ganz schon erschreckt. Das war ganz schön knapp.“ Ich merke auch, warum ich Halsweh habe. Man beatmet mich. Ich werde in ein Zimmer verlegt und meine Mutter darf mich dann irgendwann besuchen. Ich erzähle meiner Mama von diesem Traum. Sie hört mir lange zu und sagt nicht wirklich viel. Am nächsten Tag, als sie mich wieder besucht, bringt sie mir ein Foto mit. Auf dem Foto ist meine Großmutter zu sehen. Neben ihr steht ein Fuchs, der allerdings ein weißes Fell hat, es ist ein Albino. Er lebte bei meiner Oma, weil sie ihn als Baby großgezogen hat. Er blieb bei ihr bis zum Tod, danach verschwand er. Ich schaue meine Mutter an. War das jetzt ein Traum?

 

Zwei Wochen später. Endlich, ich bin entlassen. Und vor allem hat sich diese ganze Corona-Sache auch erledigt. Als ich wieder in meinem Original-Zimmer sitze, denke ich über den kleinen Fuchs nach. Wo mag er wohl sein? Lange kann ich nicht nachdenken, bis meine Mutter reinkommt: „Los! Du musst in die Schule!“ Ein Lächeln überzieht meine Lippen. Eilig schnappe ich mir den Rucksack und renne zur Tür. Mein schwarzes Kleid fliegt förmlich. Als ich nach draußen trete, sehe ich in den Wald, der vor unserer Tür liegt. Für einen kurzen Moment atmete ich tief ein und aus. Ich war zwar für vielleicht zwei Wochen unter Quarantäne, jedoch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Mein Schulweg führt neben den Waldweg längs. Da höre ich etwas rascheln. Mein Kopf dreht sich Richtung Wald. Dort sitzt er, in seiner vollen Pracht. Sein weißes Fell das scheint im Licht scheint förmlich zu glänzen. Doch er ist viel größer, als ich ihn in Erinnerung habe. Für eine Weile starre ich an. Seine Augen sind so klar. Ich lächle, und drehe mich zu ihm. Er kommt zu mir. Vorsichtig streichle ich ihn am Kopf „Danke.“ Und dann verschwindet er wieder im Wald. Danach habe ich ihn nicht mehr wiedergesehen. Aber wer weiß? Er ist bestimmt dort draußen und wenn ich Hilfe brauche, dann kommt er vielleicht wieder zurück.

 

Leonie Fuhr