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Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte

Anneke Maurer

Die glücklichen Gewinner des Schreibwettbewerbs „Leben in der Quarantäne“. 

Jede*r Gewinner*in erhält einen Buchgutschein über 40 Euro.


Erster Vierter Zwanzigzwanzig

Gerade sieben Mal ums Haus spaziert.

Danach: sieben Mal die Auffahrt auf und ab gerannt.

Jetzt: Schweißstirn, Hechelatem, Schreibfinger.

20 Tage ist es her, dass die Schulschließung verkündet wurde. Jubelschreie aus den benachbarten Klassenzimmern. Der Nachhauseweg fühlt sich apokalyptisch an.

 

Am Abend: Papas Geburtstag feiern im BeLaMi.

12 Tage, dass ich zu Theo gefahren bin. Sachen für drei Tage gepackt. (Möglichst wenig Hin und Her)

 

Aber:

11: „Komm nicht mehr nach Hause“

10: Kontaktverbot. Treffen nur auf zwei Meter Abstand. Marie: „Soll ich dir dann im Wald die Haare schneiden?“       
      Vielleicht mit einer sehr langen Schere.

9:   Einkaufen: Begegnungen auf einem neuen Level. Außerdem: Kein Klopapier. Und: Die Verkäuferin drückt drei Augen
      zu beim Kauf von fünf Milchtüten.

8:   Am Abend ein bisschen weinen, nur so. Es bahnt sich an:

7:   Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Schnupfen. Meine Haare bleiben lang.

5:   Meine Eltern: negativ. Quarantäne: nicht aufgehoben.

3:   Es schneit.

2:   Wir fahren durch eine Winterlandschaft. In einem kleinen weißen Zelt wird mir ein langes Stäbchen in den Rachen
      geschoben. „Sie sind jetzt in Quarantäne“

 

Danach: Und wie lange?

Jetzt: Ungewissheit. (Nichts Neues)

Jetzt: Meine Mutter erreicht der Quarantänebescheid nach zehn Tagen, die meine Eltern bereits eingesperrt verbracht
           haben. Meinen Vater: nichts.

Jetzt: Niemand hat einen Aprilscherz gemacht. Das Einzige, das mir einfiel: Unser Abi wird auf nächstes Jahr
           verschoben. Kam mir witzlos vor.

Meine Eltern: Im totalen Bürokratiestress.

Meine Eltern: Im totalen Bürokratiestress.

Meine Eltern: Im totalen Bürokratiestress.

Jetzt: Wunsch nach Normalität. Wunsch nach Klarheit. Wunsch nach Wiedersehen. Wunsch nach Aktion.

 

Als ich gestern in Theos Zimmer getanzt habe (für einen kurzen Wimpernschlag war ich allein im Haus), traf mich plötzlich die Gewissheit eines abgeschlossenen Zeitabschnitts. Wehmütig dachte ich an meine Schulfreundinnen zurück. (Der Schnitt war sauber und hart, weil unerwartet.)

Ps: Sieben ist meine Glückszahl.

 

Sechster Vierter Zwanzigzwanzig

Als ich heute nach Hause kam, war mein Zimmer staubdurchflutet. Die kleine gelbe Blume auf der Fensterbank: vertrocknet. Noch bin ich auf der Suche nach dem Alltag, der sich irgendwo in unserem Haus verstecken muss. Die Strecke von Theo zu mir – eine Viertelstunde Fahrrad – war so etwas wie Freiheit mit Mundschutz.

 

Neunter Vierter Zwanzigzwanzig:

Schönster Sonnenschein (draußen)

1 Aus: „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke (2.Strophe, 1.Vers)

 

Vierzehnter Vierter Zwanzigzwanzig

Es passiert: nichts

Mein Testergebnis: -“-

 

Achtzehnter Vierter Zwanzigzwanzig

Ich weiß, Weihnachten ist noch ein paar Monate hin. Ich schreibe trotzdem einen Wunschzettel:

Ich möchte: Party machen, herumziehen, feiern – rausgehen

Ich möchte: jetzt jugendlich sein

Ich sehne mich nach: Umarmungen und kürzeren Haaren

Ich wünsche mir: meinen Abiball und Island

Ich hoffe: auf den Impfstoff es wäre nur ein Traum

Ich will: wissen

Und fühle: mich wichtigtuerisch, weil ich gesund bin, alle, die ich kenne, gesund sind, aber ich trotzdem einen Wunschzettel schreibe.

 

Ich weiß, Weihnachten ist noch ein paar Monate hin, 250 Tage, um genau zu sein, aber dieses Jahr wünsche ich mir keinen Schnee.

 

Zwanzigster Vierter Zwanzigzwanzig

Ein kleiner Trost: Vielleicht lerne ich gerade mehr als nur Funktionsscharen oder den Aufbau einer Gedichtinterpretation: Nähe, Freiheit, Freundschaft schätzen. Es bleibt ein wundersames Gefühl: Noch nie habe ich derart bewusst Geschichte erlebt.

 

*später *

Juhu, Mehl!