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Das Haus in den roten Bergen

 

Eine stürmische Nacht wurde vorhergesagt. Es regnete in Schauern und die Straßen waren überschwemmt. Ein Zettel schwamm ein Rinnsal hinunter. Eine Vermisstenmeldung, ein junges Mädchen wurde gesucht. Der Zettel floss die ganze Spreestraße herunter. Der Morgen sollte anders sein.

 

*

 

Die Morgensonne schien durch mein Fenster auf mein Gesicht. Immer noch müde, wachte ich gähnend auf. Durch mein Fenster hörte ich Gezwitscher, die Vögel waren schon wach. Ich nahm mein Handy und rief meine neuen Nachrichten auf. Ben hatte mir über WhatsApp geschrieben. „Um 11 Uhr wollen wir losfahren“, schrieb er. Ich erinnerte mich, heute war der 29.05 2021, ich war mit meinen Freunden zum Campen verabredet bin. Meine Mutter rief nach mir: „Ilias, Komm Frühstücken, du musst gleich los!“  Ich sah auf die Uhr. Überrascht sprang ich aus meinem Bett und rief nach meiner Mutter: „Wieso hast du mich nicht früher geweckt? Es ist schon 9:30 Uhr. Jetzt komme ich noch zu spät.“ „Das ist nicht meine Schuld, ich habe dir doch gesagt, dass du dir deinen Wecker stellen sollst.“, sagt meine Mutter. Ich sprang schnell unter die Dusche. Meine Sachen hatte ich schon gestern fertig gepackt und vorbereitet. Meine Mutter hatte ein Erdbeermarmeladebrot mit Honig für mich geschmiert. Fertig angezogen, ging ich aus dem Haus und machte mich auf den Weg zu Ben. Auf dem Hinweg sah ich eine Menschenmenge stehen. Neugierig drängelte ich mich an den Menschen vorbei und betrachtete eine Informationstafel. Die Tafel war voller Vermisstenmeldungen. Es waren schon so viele, dass man den Überblick verlor. Eine alte Vermisstenanzeige beschrieb ein jugendliches Mädchen. Hannah Clausen, 17 Jahre alt, soll am 19.06.2020 beim Campen in den Wäldern von den Roten Bergen Hamburgs verloren gegangen sein und wurde nie gefunden. Eingeschüchtert ging ich weiter. Ich erkannte sie. Sie campte öfters an demselben Ort, mit ihren Freunden, wie ich mit meinen Freunden. Ich blickte auf die Uhr. Schon 10:47 Uhr. Jetzt musste ich mich beeilen. Ich fing an zu joggen.

 

Mit zwölf Minuten Verspätung, traf ich endlich am Treffpunkt ein. Madin und Ben kamen direkt auf mich los. „Wo bist du gewesen?“ fragte Madin. „Das nächste Mal gehen wir ohne dich los!“, sagte Ben. Madin und Ben haben es nicht so gerne, wenn man sich verspätet. Aus irgendeinem Grund nehmen sie es persönlich. Ben und Madin gingen zu deren Haus. Sie wohnten nämlich zusammen, jedoch in einer Art WG. Ich fragte sie, wo Elric sei. „Er sitzt seit einer Stunde auf dem Klo.“, antwortete Ben mir, wie es zu erwarten war. Immerhin wollten wir eigentlich vor einer halben Stunde los. Als Elric nun endlich zu uns stieß, sagte Ben: „Jetzt aber los. Wir haben genug gewartet.“ „Dann steigt ins Auto“, rief Elric. Vollständig im Auto und alles Gepäck verstaut, fuhren wir los. „Wo fahren wir denn dieses Mal hin?“, fragte ich. „Es gibt ein großes Waldgebiet, in der Nähe von Nienstedt.“, antwortet Elric. „Sind dort nicht auch die Roten Berge?“, fragte ich. „Wieso fragst du? Hast du etwa Angst, weil dort so viele Menschen verschwunden sind? Du weißt schon, dass das alles nur Gerüchte sind. Außerdem, falls es wirklich etwas gibt, dass uns gefährlich werden könnte, ich habe das Jagdgewehr von meinem Vater mitgenommen, dann können wir uns vielleicht selbst noch ein Paar Hasen zum Essen schießen.“, sagte Madin. „Du hast was?“, fragte ich ihn, „bist du wahnsinnig? Wieso nimmst du sowas mit?“ „Was regst du dich denn so auf? Ist doch geil, jetzt können wir auch das Gespenst jagen gehen.“, sagte er. Von da an herrschte im Auto eine angespannte Stimmung. Doch dann sagte Madin: „Ich habe eine neue Playlist auf Spotify.“ Er verband sein Handy über Bluetooth mit dem Auto und wir hörten eine Zeit lang seine Musik. Plötzlich nahm Ben Madins Handy aus seiner Hand und scrollte durch die Playlist. „Da sind ja nur scheiß Lieder. Die Stimmung ist sowieso schon angespannt. Da muss nicht noch solche Deprimusik spielen.“ Ben machte die Musik für eine Zeit aus. Die Fahrt dauerte lange.

 

Es war schon Nacht geworden und wir machten eine kleine Rast am Waldrand. Ich ging in ein Gebüsch, um zu pinkeln. Währenddessen, präsentierte Madin stolz die Waffe seines Vaters. Ich ging zurück zu den Anderen und sagte: „Wenn ihr müsst, dann geht jetzt. Wir müssen noch alles Aufbauen.“ Während mir niemand antwortete, stiegen wir wieder ins Auto ein und fuhren durch den Wald. Wir hielten Ausschau, nach einem guten Platz und fanden einen in der Nähe eines Sees. Wir nahem alle unsere Sachen und bauten unsere Zelte auf. Bis auf Ben, er ging ohne etwas zu sagen weg. Wir alle wunderten uns. „Wohin gehst du?“ fragte Elric. „Ich geh pissen. Was ist denn los?“, antwortete Ben mit aufgebrachter Stimme. Ich sagte: „Du musst uns beim Zelt helfen. Ich habe doch vorhin gesagt, dass ihr Pinklen sollt, weil später keine Zeit bleibt.“ „Bist du dumm? Ich bin doch nur kurz weg. Was ist denn so schlimm daran?“ Es war unnötig, mit ihm weiter zu streiten. Ich hatte einfach genug von ihm. Ich ging zu Elric und baute mit ihm unser Zelt auf. Madin machte sich inzwischen auf die Suche nach Brennholz. Als Ben fertig mit seinem Geschäft war, half er Madin bei der Suche. Beide kamen wieder. Wir machten ein Lagerfeuer und grillten, die Würstchen, die ich mitgenommen hatte. „Sind die helal?“, fragte mich Madin. „Ja, sind sie“, sagte ich, „Ich habe natürlich an dich gedacht. Ben hatte sein eigenes Essen mitgenommen. Es war Vegetarier und wir wussten nicht, was er alles mag. Das sind Geflügelwürstchen.“ „Danke, mein Schatz.“, sagte Madin lachend. Irgendwie hatte ich das von ihm erwartet. Aus irgendeinem Grund findet er das lustig, dabei ist es einfach nur komisch. Nach dem Essen sagte Madin: „Lasst uns mal ein bisschen jagen gehen.“ „Wieso jetzt? Die Tiere schlafen alle, es ist schon spät“, sagte Elric. Enttäuscht setzte sich Madin wieder hin und aß von seiner Geflügelbifi. Er war der Vernünftigste von uns. Auf Ben und Madin war wiederum kein Verlass.

 

Wir gingen uns umsehen. Ben erzählte nach seinem Geschäftsausflug, er habe einen großen See gesehen. Wir folgten ihm ud staunten. „Der See ist ja riesig“, sagte Madin. „Seht mal da hinten. Erkennt ihr das? Da ist so ein komisches Licht“, deutete Elric. „Das sieht so aus, als würden da noch andere Leute Party machen“, sagte ich. „Lasst uns da mal hingehen“, sagte Madin. Mich hat das nicht gewundert. Madin war bekannt dafür jede Art von Blödsinn anzustellen. Anderer Seitz, war ich schon neugierig, Also gingen wir da hin. Wir nährten uns dem Licht, als es plötzlich verschwand. Es war sehr dunkel, wir mussten unsere Taschenlampen benutzen. „Verdammt!“, sagte Madin genervt, da die Batterie seiner Taschenlampe lehr war. Obwohl das Licht weg war, gingen wir weiter.

 

Wir nährten uns dem Punkt, jedoch endete der Weg vorher. Wir mussten uns also durch die Büsche kämpfen. Als wir uns endlich durchgekämpft hatten, saß ein kleines Mädchen in einem verdreckten roten Kleid, direkt vor unseren Füßen. Ihre Haare waren völlig durcheinander, ihre grünen Augen waren weit offen, ihre Fingernägel blutig und kaputt und sie war barfuß. Sie starrte ununterbrochen auf den Boden. Wir wussten, hier war etwas Schlimmes passiert. Ich schaute auf die Uhr, es war schon halb zwölf. „Was macht sie hier um diese Uhrzeit?“, fragte ich. „Vielleicht hat sie sich verlaufen?“, sagte Ben. „Seht sie euch doch mal an. Sie guckt ja ganz verstört“, sagte Elric. Er ging in die Hocke und sprach das Mädchen an. „Was machst du hier ganz alleine? Hast du deine Eltern verloren?“ Von ihr kam keine Antwort. Wir wussten nicht was wir tun sollten. „Madin, hast du noch eine Bifi?“, fragte ich. „Klar“, meinte er. Ich reichte dem Mädchen die Bifi, jedoch nahm sie das Essen nicht an. „Vielleicht ist sie Vegetarierin“, sagte Ben. „Rede kein Blödsinn, als würde das eine Rolle spielen“, sagte Elric. Es war traurig mit anzusehen. „Sie ist richtig verstört, was sollen wir jetzt machen?“, fragte ich. Elric antwortete: „Lasst uns sicherheitshalber die Polizei rufen. Die kann uns bestimmt helfen“. Ben versuchte die Polizei zu rufen: „So ein Dreck, ich habe hier kein Empfang“. Madin und Elric hatten dasselbe Problem. Ich versuchte auch mein Glück: „Leute es klingelt“. Ich schaltete auf Lautsprecher, während Madin auf das Mädchen aufpasste. Als wir der Polizei unsere Lage schildern wollten, kam ein lautes Störgeräusch, wie aus dem nichts. Wir hielten unsere Ohren zu. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Trommelfell platzen. Als das Geräusch endlich verschwand, war alles wie gelähmt und mucksmäuschenstill.

 

Plötzlich griff das Mädchen nach meinem Bein. „Lauft, sonst kommt er!“, flüsterte sie. „Ich wusste es! Kein Wunder, dass hier so viele Menschen verwunden sind“, rief Madin. „Bist du mal endlich still“, sagte Ben zu ihm. Madin nahm das Mädchen huckepack und wir rannte so schnell wir konnten zurück zu unserem Lager. Hinter uns waren Geräusche, als würden wir verfolgt werden. Ich lief immer schneller. Meine Beine taten schon weh. „Lauft schneller“. Ben fing an zu humpeln. Er war gestolpert. Ich rennte zu ihm und half ihm, schneller zu rennen. „Ich danke dir“. Ben hüpfte um sein Leben. Wir nährten uns unserem Lager und rannten durch die Büsche, als ein nicht zu überhörender Schrei ertönte. Ich dachte es wäre um mich geschehen. Ich kniff meine Augen zusammen und rannte weiter. „Pass auf!“, schrie Madin mir hinterher, jedoch habe ich das zu spät gehört. Ich stieß mir den Kopf und ich fiel hin und zog Ben mit auf den Boden. Ich rüttelte mich und stand wieder auf. Ich sah auf den Boden, neben Ben lag noch ein Mädchen, in unserem Alter. Sie war nicht allein.

 

Ich half Ben wieder auf und fragte:“ Wer seid ihr?“. „Das könnte ich euch auch fragen“, sagte das verletzte Mädchen. Sie stand auf und rieb sich das Blut von ihrer Stirn. „Wir campen hier“. Mit einem bösen Blick sah mich einer ihrer Freundinnen an. „Das ist aber unser Camp. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass ihr uns ausrauben wollt“. Elric sah das Mädchen bedrohlich an. Madin setzte das kleine Mädchen ab und griff hastig nach der Waffe. „Wow wow wow, pass mit dem Ding auf!“ rief eine andere Freundin. „Wer seid ihr? Antwortet mir!“. Madin richtete das Gewehr auf das Mädchen mit der Kopfverletzung. Die Mädchen stellten sich nacheinander vor: „Ich bin Emilia und wie gesagt, wir campen hier“. „Mein Name ist Ana“, sagte das verletzte Mädchen. „Und ich bin Hannah. Und du, nimm die Waffe endlich aus meiner Nase!“, sagte die Letzte. Madin tat, was sie sagte. „Moment mal, ich habe dich doch schonmal gesehen. Du giltst als vermisst. Man hat nach dir gesucht“, sagte ich, „Du bist schon mehr als ein Jahr als vermisst gemeldet. Und dich kenne ich auch. Du bist doch meine Nachbarin“. „Stimmt, du wohnst ein Gebäude weiter. Ich sehe dich ab und zu.“ „Jetzt mal ganz langsam“, sagte Hannah, „Ich soll einem Jahr vermisst sein? Wir sind hier erst seit heute Abend unterwegs“. „Aber wie ist das möglich?“, fragte Elric. Keiner wusste eine Antwort auf seine Frage. „Was ist mit dem kleinen Mädchen“. Emilia ging mit geballter Faust auf Madin zu, „Was hast du mit ihr gemacht?“. Emilia schlug Madin das Gewehr aus der Hand, „Isch abe ga nis gemat“. Vor lauter Furcht klang Madin so, als hätte er das Sprächen verlernt. Offenbnar hatte ihn noch nie zuvor eine Frau so angeschrien. Elric nahm sein Erste Hilfe-Kasten aus seinem Rucksack, holte Verband und Desinfektionsmittel heraus und gab es Ana. „Wo ist euer Lager“, fragte ich. Emilia gestand: „Unser Auto hat kein Benzin mehr. Wir sind hier also gestrandet und da wir nichts zu essen haben, haben wir gedacht, dass wir von euch etwas nehmen können. Ihr wart ja nicht da“. „Also seid ihr nicht hier, um zu campen“, bemerkte Elric. „Nein, sind wir nicht“, machte Hannah deutlich „Wir sind eigentlich auf einer Durchreise“. „Ok, wie auch immer, könnt ihr uns vielleicht helfen, wir brauchen…“, wollte Elric sagen, doch Emilia unterbrach ihn: „Was hat es mit dem kleinen Mädchen auf sich. Sie sieht nicht gerade gesund aus“. „Das wollte ich gerade ansprechen. Wir haben sie hier im Wald getroffen. Sie war allein und wir wollten die Polizei rufen, jedoch haben wir kein Empfang.“ „Sag das doch gleich. Ich dachte schon ihr seid irgendwelche pädophile Mörder oder so etwas“, sagte Emilia erleichtert. „Also habt ihr hier jetzt Empfang?“, fragte Elric erneut. „Ein Augenblick, ich versuche es kurz. Hm…sieht nicht so aus. Vielleicht hast du Empfang“, sagte Emilia zu Ana. „Mein Akku ist leer“, antwortete sie. „Und du Hannah?“, fragte Ben. „Wegen deinem Freund hier, ist mein Handy jetzt schrott, bedank dich bei ihm!“, sagte Hannah verärgert. Ich blickte beschämt auf den Boden: „Wie auch immer, wir müssen hier jetzt irgendwie raus, und sie in ein Krankenhaus bringen“.

 

Wir packten unsere Sachen. Währenddessen ging ich zu Madin. Ich hatte noch nie erlebt, dass er so eingeschüchtert war. „Was war eben los mit dir?“, fragte ich ihn. „Ich weiß nicht. Sowas ist mir noch nie passiert“, sagte er. „Naja, du sagts ja auch immer, dass du auf dominante Frauen stehst“, vor lauter Lachen konnte ich mich nicht mehr halten, „Mach was draus, sie doch voll hübsch und vor allem auch vernünftig, nicht so wie du.“ „Ach halt die Klappe“. Nervös ging Madin zu Emilia und half ihr beim Tragen unserer Sachen. Wir stiegen ins Auto und fuhren los. „Hat sie einen Namen?“, fragte Ana. „Das wissen wir nicht. Sie spricht kaum“, machte ich ihr deutlich. Emilia setzte sich neben das Mädchen: „Hast du einen Namen?“. Wie zu erwarten sagte sie wieder nichts. Ich erzählte ihnen von ihrer Warnung, dass wir fliehen sollten. Sie waren sehr überrascht. „Egal, jetzt verschwinden wir sowieso“, sagte Madin. Jedoch sollte es nicht so kommen. Keine zwei Minuten, nachdem wir los gefahren waren, machte das Auto komische Geräusche. Irgendetwas stimmte mit dem Motor nicht. Elric stieg aus und öffnete die Motorhaube. „Verdammte Scheiße. Das hat uns noch gefehlt.“ Eine riesige schwarze Wolke kam heraus. „Was ist passiert?“. Ben stieg verwirrt aus dem Wagen aus. „Der Motor ist überhitzt. So schnell kommen wir nicht weiter“. Elric wischte sich den Schweiß von seiner Stirn. „Verdammt!“, sagte Madin. „Aber was sollen wir jetzt machen?“, Emilia nahm das das kleine Mädchen und drückte sie an sich.

 

Wir stiegen alle aus dem Auto und sahen uns um. Gerade als wir uns etwas zu Essen machen wollten, sprang plötzlich das kleine Mädchen aus Emilia Armen. Sie rannte von uns weg. „Schnell, hinter her! Wir dürfen sie nicht verlieren“, rief ich zu den Anderen. Ich nahm sofort die Spur auf. Für ihre Größe war sie sehr schnell. Ich kam kaum hinterher und durch die Verletzung von vorher war ich noch langsamer. „Die Kleine ist voll schnell“. Ana kam hinter mir mit. Ich sah nur noch ihren Schatten, bis er plötzlich auch verschwand. Hektisch blieb ich stehen. „Wo ist sie hin?“, fragte Ana. „ich weiß es nicht“. Ich sah mich um und ging im Kreis. Von den Anderen war auch keine Spur zu sehen. Offenbar waren sie zurückgeblieben. Lass uns zu den anderen gehen“, sagte Ana. Ich sah ihr direkt ins Gesicht: „aber das kleine Mädchen ist hier jetzt irgendwo allein. Wir können sie doch nicht im Stich lassen“. „Hör zu, wenn es nach mir ginge, würde ich auch nach ihr suchen. Aber wir müssen zu den anderen, sonst sind wir gleich die Verlorenen“. Ich wusste, dass Ana Recht hatte. Wir taten also das Richtige und gingen zurück.

 

Es war immer noch sehr dunkel. Die Augen der Eulen reflektierten das Licht des Mondes. Die Schatten der Bäume nahmen gruselige Gestalten an. Ich dachte, hätten wir unsere Taschenlampen nicht dabei, wären wir aufgeschmissen. Die Dunkelheit schien Ana Angst zu machen. Sie kam immer näher zu mir, bis sie schließlich nach meinem Arm griff und sich dran festhielt. So gingen wir ein ganzes Stück weiter. Das erste Mal in meinem Leben, kam mir ein Mädchen so nahe. Es war so, als würden wir ein Paar sein und im Dunkeln einen Spaziergang machen. Ihre Wärme fühlte sich angenehm an und ihr Geruch geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Sie trug kein Parfüm, es war ihr normaler Geruch, der mich fast umhaute. Ich musste mich sehr zusammenreissen. Wären wir nicht in so einer kritischen Lage, wo wir ein kleines Mädchen in einem riesigen Wald verloren hätten, und in dem es angeblich auch noch spukte, wäre das mit Abstand eine meiner schönsten Nächte gewesen. „Sieh mal, da hinten“. Ana zeigte auf flackernde Lichter, welche aber schnell wieder verschwanden. „da müssen die Anderen sein.  Beeil dich.“

 

Wir rannten auf die Stelle zu, jedoch war ich nicht ganz so schnell. Ana kam vor mir an „Ahhhhh“, rief sie. Ihr Schrei war so laut, dass ich vor Schreck fast umfiel. Als ich ankam, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Der Baum, vor dem wir standen, war komplett mit Blut getränkt. An den Ästen hingen Seile herunter und an diesen hingen Leichen. Entsetzt wichen wir zurück. Die Gesichter war völlig verstellt und der Anblick brachte mich zum Übergeben. „Was zur Hölle ist das?“ Am Fuße des Baums lag eine Verpackung von Geflügelbifi. „Das ist doch Madins!“. Erschrocken hob ich die Packung auf und ging ein paar Schritte zurück. „Willst du damit sagen, dass diese Leiche Madin ist?!“. Ana konnte es nicht fassen. Natürlich konnte ich das auch nicht glauben. In so einer Situation ist es wichtig, Ruhe zu bewahren, aber wie konnte ich da ruhig sein. Einer meiner besten Freunde schien tot an einem Baum zu hängen. Ich nahm mein Handy, in der Hoffnung, die anderen zu erreichen. Ich versuchte Elric anzurufen und es funktionierte. „Hallo Ilias, wo seid ihr?“, fragte Elric mich. „Wir haben uns verlaufen, warte kurz“. Hektisch drehte ich mich in alle Richtungen, ich wollte mir ein Bild von unserer Umgebung verschaffen, um es Elric zu beschreiben. In der Ferne sah ich den umriss eines Hauses. Ich bat Ana nachzusehen, was es damit auf sich hat, jedoch wollte sie da nicht allein hingehen. Elric von Madins Tod zu berichten, wäre nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. „Wir sind in der Nähe eines alten Hauses“, sagte ich über das Telefon. „Ich weiß, wo das ist, sagte Elric, „Wir sind da vorhin vorbeigegangen, rührt euch nicht vom Fleck, wir sind gleich da“. In der Hoffnung, dass es sich bei der Leiche doch nicht um Madin handelt, fragte ich Elric: „Achso, Elric. Ist Madin bei euch?“. Nein, er ist euch hinterhergerannt, ist er etwa nicht bei euch?“, fragte Elric. Ich war wie geschockt, ich konnte kein einziges Wort mehr sagen. Ana kam zu mir und nahm mein Handy: „Kommt so schnell ihr könnt zu uns, wir erklären euch dann alles“.

 

Ana und ich näherten uns dem Haus. Das Haus bestand nur aus Holz, wir setzten uns auf die Terrasse und das Holz knirschte sehr laut. Es war nicht gerade das Gemütlichste, worauf ich saß. Nach einer Zeit trafen Elric und die Anderen ein. „Was ist jetzt mit Madin?!“. Ben kam mir ziemlich nahe. Ich hatte Panik und stand noch immer unter Stress. Ich holte tief Luft und beruhigte mich für ein Augenblick: „Ich kann das erklären. Da drüben ist ein Baum mit einer Leiche. Es sieht so aus, als wäre das Madin. Wir haben diese Bifi Packung darunter gefunden“. „Das muss doch nichts heißen. Das könnte von jedem sein“, meinte Ben aufgeregt. „Ey junge, pass doch auf! Ich kann nichts dafür, ich sage nur, was möglicherweise der Fall sein könnte“, sagte ich. „Jungs, es bringt nichts sich jetzt zu streiten, hört sofort auf!“, Elric stellte sich zwischen uns, „Ben hat Recht. Wir können nicht sagen, ob das Madin ist, also lasst uns erstmal nach ihm suchen.“ „Ilias, du konntest doch eben noch Elric erreichen, vielleicht kannst du ja jetzt Madin anrufen, vielleicht hören wir dann von ihm“, schlug Hannah vor. Ich nahm mein Handy und versuchte Madin zu erreichen. Es fing an zu klingeln und wir hofften, dass Madin ran gehen würde. Leider ging er nicht ran. Gerade als ich auflegen wollte, sagte Ben: „Wartet! Hört ihr das?“. Wir hörten uns um. Wir hörten ein leises Klingeln von hinten. Wir drehten uns gleichzeitig um und unsere Blicke richteten sich auf das Haus. „Ist Madin da drinnen?“, fragte Ben. Ich ging zu der Tür und hielt mein Kopf dran. Sehr nervös sagte ich: „Es kommt von da drinnen! Wir müssen da rein!“. „Ok, wir gehen da rein, aber nicht alle von uns. Es wäre schlau, wenn zwei Leute draußen warten, wir wissen nicht was uns da drin erwartet“, sagte Elric. „Ok, dann müssen wir nur noch bestimmen, wer rein geht und wer draußen bleibt“, sagte ich. „Geh mir aus dem Weg!“. Ben stieß mich zur Seite und öffnete die Tür. „Was machst du denn da?“, fragte ich ihn verärgert. „Wonach siehts denn aus, ich suche Madin“, sagte Ben und stürzte vor. Ana und ich folgten ihm. Die anderen zögerten, aber kamen schließlich doch hinterher.

 

Nun waren wir alle im Haus. Es war dunkel, der Boden war sehr morsch, jeder Schritt löste ein Knirschen aus. Wie aus dem Nichts hörten wir plötzlich ein lautes Knallen. Die Tür hatte sich verschlossen. Emilia rüttelte an der Tür, doch sie blieb zu. Wir steckten nun im Haus fest. Ich sah mich im Raum um, es war nicht so dunkel, wie ich es erwartet hatte. Komischer Weise brannte weiter hinten ein Kamin, der genug Licht ausstrahlte, sodass man den Raum noch sehen konnte. Es war wie ein Wohnzimmer, ein großer Teppich war im Raum ausgelegt, auf dem Teppich war ein aufrechtstehender Grizzly abgebildet. Sein Maul war voller Blut und um ihn herum waren Gliedmaßen von Menschen. Auf dem Teppich stand ein rotes Sofa aus Echtleder nahe dem Kamin. Auf der rechten Seite führte eine Treppe zu einer neuen Etage, welche von der Dunkelheit und den Schatten verschlungen war. Ich folgte dem Klingeln. „Seht mal, da ist Madins Handy“, sagte ich. Sein Handy lag auf einer kleinen Kommode, neben dem Sofa. Es war richtig klebrig und mit eigenartigem Schleim bedeckt. Ich nahm es und wischte das klebrige Zeug ab, es fühlte sich an wie Speichel. „Igitt, das ist ja so, als hätte das jemand ausgekotzt“, sagte ich. „Gib mal her!“, sagte Elric und reichte mir seine Hand. Ich überreichte ihm das Handy. „Seht mal, da ist eine neue Benachrichtigung“, sagte Elric. Seine Eltern haben ihm geschrieben. Aber Moment mal, wie ist das möglich?“. „Was ist denn los?“. verängstigt ging Ben zu Elric. Elric erklärte: „Auf Madins Handy wird der 29.07.2044 als aktuelles Datum angegeben. Und seine Eltern haben ihm zahllose Nachrichten geschrieben, in denen sie ihn fragen, wo er ist und sich melden soll. Außerdem wurde er unzählige Male angerufen, ist aber nie rangegangen“. „Aber was hat das zu bedeuten?“, fragte Hannah. „Hannah! Du sagtest doch, dass ihr erst heute losgefahren seid, oder?“, fragte Elric. „Ja, sind wir“, antwortete sie. „Ilias hat eine Vermisstenmeldung von dir gesehen, bei der du schon seit einem Jahr vermisst wirst. Also so, wie es aussieht, ist dieser Wald irgendwie von dem Rest der Welt getrennt. Die Zeit verläuft hier ganz anders“, erklärte Elric überzeugend. „Mal langsam! Willst du mir jetzt klar machen, dass wir hier in einer Art anderer Dimension sind?“, fragte Emilia. „Sozusagen, ja“, sagte Elric. Ich rieb mir meine Stirn. „Ich will hier einfach nur weg“, sagte Ben, meine Familie macht sich bestimmt schon Sorgen. „Nicht mehr“, sagte Elric, du meist wohl, deine Eltern haben sich irgendwann mal Sorgen gemacht.“ „Was laberst du?“, verwirrt guckt Ben Elric an. „Denk doch mal nach, unsere Eltern sind bereits im Jahr 2044, das heißt, deine Eltern haben sich vor 23 Jahren Sorgen gemacht“, sagte Elric. Ich ging zurück zur Tür und versuchte sie erfolglos zu öffnen.

 

Wir waren alle schockiert. Ben hatte es am härtesten getroffen. Er taumelte zum Sofa und setzte sich. Plötzlich sprang er auf und kreischte. Ich drehte mich um, weil ich dachte, dass eines der Mädchen sich erschrocken hatte. „Was ist passiert?“, fragte ich. „Mich hat etwas am Arsch berührt“. Er rannte schnell zu uns mit festem Blick auf das Sofa. „Im Sofa drinnen?“, fragte Elric. „Oh man, als wäre es hier nicht schon gruselig genug“, sagte Emilia und klammerte sich an Elrics Arm. Elric streckte seine Brust raus und ging von hinten auf das Sofa zu. Emilia blieb bei Hannah und Ana zurück. Er packte das Sofa von der rechten Lehne und stellte sich von vorne dem Sofa entgegen. Er legte seine Hände auf die Plotzer: „Alles gut, da ist nicht“. Wir waren alle erleichtert. Wir drehten uns vom Sofa weg, um das Haus zu durchsuchen, da schrie Elric plötzlich auf: „Leute, schnell! Helft mir doch!“. Aus seinen Augen flossen Tränen. Wir drehten uns um. Wir sahen, wie Elric in der Hand eines roten Ungeheuers war. Das Sofa war weg und an dessen Stelle hockte ein riesiges Mädchen. Sie sah genau so aus, wie das kleine Mädchen aus dem Wald. Doch diesmal trug sie ein rotes Kleid und hatte gepflegte Haare. Ihre Finger waren heil und sie trug ein Schirmhut. „Was zur Hölle!?“, rief ich. Das riesige Mädchen fing an zu lachen. Sie öffnete ihren Mund. Ihre Mundwinkel reichten bis neben den Augen und ehe wir uns versahen, verschlang sie Elric und biss zu. Es war nur noch seine untere Hälfte übrig. Elrics Schreie verstummten. Seine Gedärme fielen aus seinem Bauch auf den Boden. Das Mädchen drehte ihren riesigen Kopf um 180°, erst danach folgte der Rest ihres Körpers der Bewegung. Elrics tote Hälfte warf sie in den Kamin. Währenddessen schrien wir um unser Leben und versuchten zu fliehen.

 

Ana, Ben, Hannah und ich stürmten die Treppe hoch, während Emilia zur Tür rannte. In der ganzen Panik vergas sie, dass die Tür abgeschlossen war. Das riesige Mädchen stürzte sich auf allen Vieren und wie ein riesiges Raubtier auf Emilia und schlug sie gegen die Wand. Ihr Körper wurde zerschmettert und ihre Gedärme blieben an der Wand haften. Es hinterließ eine riesige Blutspur. Wir anderen rannten weiter, einen Flur im Obergeschoss entlang. Das Obergeschoss zog sich sehr lang. Ich hatte den Eindruck, dass das Haus von Innen viel größer war, als von Außen. Im Flur war ein roter Teppich ausgerollt und an den Wänden waren Kerzenhalter angebracht. Am Ende des Flurs jedoch war eine weiße Tür zu sehen. Jedes Mal, wenn wir einen Kerzenständer überschritten, entfachte die Kerze. Wir rannten zur Tür, jedoch entfernte sich die Tür immer weiter von uns, je näher wir an sie herankamen. Plötzlich blieb Hannah stehen: „Leute, schnell hier ist noch eine Tür“. Wir drehten uns um. Wir hatten einen kleinen Vorsprung zu dem riesigen Mädchen aufgebaut. Hannah hielt eine Tür an der Seite des Flurs für uns offen, Ana, Ben und ich sprangen hindurch und Hannah schloss die Tür sofort. Wir lehnten uns alle gegen die Tür, um sie zu zuhalten, da das riesige Mädchen dagegen rammte. Ich kniff meine Augen zu und drückte mit meiner ganzen Kraft gegen die Tür, bis plötzlich das Rammen des Mädchens aufhörte. „Ok, ich glaube sie ist weg“, sagte ich. Langsam ließen wir die Tür los. Der Raum, in dem wir waren, war stockdunkel. Man konnte seine eigene Hand kaum sehen. Ich nahm meine Taschenlampe und sah mich ein bisschen um. Auf der linken Seite, in der hinteren Ecke stand ein Kinderbett mit einem Gitter. Ich ging drauf zu und schaute hinein. In dem Bett lag eine Puppe, mit roten Haaren und einem roten Kleid. Sie erinnerte mich irgendwie an das kleine Mädchen, oder jetzt eher das riesige Mädchen. Die Puppe war ziemlich verdreckt. Ich wischte sie ab. Ich drahte sie um und auf dem Rücken der Puppe stand etwas geschrieben: „Matilda“, flüsterte ich vor mich hin. Ich weiß nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund steckte ich die Puppe ein. Ich ging weiter und leuchtete mit meiner Taschenlampe auf eine Kommode. Auf dieser waren sehr viele Bilder, hauptsächlich Familienfotos. Auf einem der Bilder war ein kleines Mädchen mit ihren Eltern zu sehen. Die Augen der Eltern waren mehrmals durchgestrichen. Ich drehte das Bild um. Auf der Rückseite des Familienbildes war ein kleines Schild aus Bronze. Darauf war die Zahl „1927“ eingraviert. Ich rief die anderen zu mir: „Leute seht euch das an. Das ist das das Mädchen, was wir im Wald gesehen haben“. „Du meinst das kleine Mädchen, was jetzt riesig und besessen ist und uns alle nacheinander umbringt!?“, keuchte Ben. Ich legte das Bild zurück. Ben fand etwas, was von einem dreckigen weißen Laken überdeckt war. Er nahm das Laken und zog es ab. Vor ihm stand ein Spiegel. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er drauf. „Seht mich nur an! Ich sehe aus wie ein obdachloser Junkie“. Er bewegte sein Kopf hin und her, um sich aus verschiedenen Winkeln zu betrachten. Er drehte sein Kopf auf die linke Seite und sein Siegelbild tat das auch. Er drehte sein Kopf auf die rechte Seite, jedoch blickte sein Kopf nach vorne. Ben starrte erschrocken auf sein Spiegelbild und hob seine Hand. Doch statt, dass sein Spiegelbild ebenfalls die Hand hob, schmolz sein Gesicht, wie Eis in der Hitze, sodass nur noch sein Schädelknochen zu sehen war. Schlagartig begann, dasselbe auch bei Ben selbst zu geschehen. Sein Gesicht brannte: „Aaarggh! Was ist das?“ Ich sah zu Ben und versuchte ihm zu helfen. Als ich in den Spiegel sah, begann dasselbe auch bei mir. Mein Gesicht fing an zu Brennen. Es fühlte sich an, als wäre mein Gesicht voller Brennnesseln, nur viel schlimmer. Ben und ich konnten uns vor lauter Schmerzen kaum bewegen. Wir lagen auf dem Boden und wälzten unsere Gesichter in dem Staub. Die grausamen Schmerzen wollten einfach nicht aufhören, bis Ana das Laken nahm und das Spiegel überdeckte. Die Schmerzen waren plötzlich weg. „Meine Fresse, was war das?“, fragte ich. „Es sah so aus, als wäre das, was euren Spiegelbildern geschah, auch euch geschehen würde“, erklärte Ana. „Zum Glück bist du noch rechtzeitig gekommen, du hast uns gerettet“, sagte ich. Ich drehte mich zu Ben. Er lag immer noch mit dem Bauch auf dem Boden. „Ben, geht es dir gut?“. Ich packte ihn an der Schulter und legte ihn auf den Rücken. „Ach du Scheiße!“. Ich schreckte zurück und fiel hin. Sein Gesicht war zur Hälfte abgeschmolzen, man konnte nur noch sein linkes Auge und ein Teil seines Mundes erkennen. Der Rest war nicht mehr vorhanden. Man konnte Ben kaum noch erkennen. Die Mädchen verdeckten ihre Augen und drehten sich schreiend von ihm weg. Ben war tot. „Oh nein, nicht er auch noch“. Ich stand auf und nahm die Decke aus dem Kinderbett und legte sie über ihn. Ich bereute es nun endgültig, je auf diesen Ausflug mitgegangen zu sein. Ich hatte aufgegeben. Alle meine Freunde waren tot und meine Familie drohte mich zu vergessen. Ich sah zu den beiden Mädchen. „Was sollen wir nun tun?“. Verzweifelt sah ich sie an, mit von Tränen verschleierten Augen. Hannah und Ana, denen es genauso ging, kamen zu mir und umarmten mich ängstlich. „Wir müssen hier irgendwie raus“, sagte Hannah. „Aber wie denn? Draußen wütet dieses Monster“, sagte ich. „Es muss doch einen Weg geben“, sagte Ana. Ich überlegte. „Hört mir mal zu, ich glaube ich habe eine Idee“, sagte ich. „Schieß los!“. Ana sah mich hoffnungsvoll an. Ich griff nach dem Spiegel und erklärte: „Also, wir werden gleich da raus gehen und wenn das Monster kommt, locken wir es nach draußen, hier drin sind wir im Nachteil. Dann muss sie jemand festhalten, solange die Person nicht im Spiegel zu sehen ist, sollte ihr nichts geschehen, dann halten wir den Spiegel vor sie, sodass sie auch verbrennt. Wir müssen es einfach versuchen“. „Ich weiß nicht, vielleicht ist sie ja immun dagegen“, sagte Hannah. „Ilias hat Recht, ich finde wir sollten es versuchen, bleibt uns denn eine andere Wahl?“, sagte Ana. „Na gut, ich bin dabei“, Hannah steckte ihre Hand aus und zeigte auf den Spiegel. „Dann verpassen wir dem Ding jetzt etwas, dass es nicht vergessen wird“. Ich nahm den Spiegel und trug ihn zur Tür. „Seid ihr bereit?“, fragte ich die Mädchen und sie nickten mir beide zu. Ana entriegelte die Tür und öffnete einen Spalt. „Siehst du irgendetwas?“, fragte ich sie. „Nein, da ist nichts“, sagte sie. „Ok, dann los!“. Ich schlich durch die Tür und sah auf der anderen Seite nach, wo ebenfalls nichts war. Wir gingen den Flur entlang, zurück zur Treppe, um aus dem Haus zu verschwinden. Das Monstermädchen war nirgendswo zu sehen. Der Weg war endlos, es war wie auf dem Herweg, als wir das erste Mal im Flur waren. Dennoch gaben wir nicht auf und gingen weiter. Es war erstaunlich, wie es möglich war, dass ein so großer Flur in einem, im Vergleich, so kleinen Haus existiert. Sowas müsste eigentlich unmöglich sein, aber nach dem, was ich gesehen hatte, würde mich nichts mehr schockieren. So dachte ich jedenfalls. Ich ging weiter und hatte immer ein Blick auf die Mädchen, ich hatte keine Lust, dass sie wie in schlechten Horrorfilmen plötzlich verschwinden. „Igitt, was ist das denn?“. Hannah rieb sich an ihrer Schulter. An ihren Fingern war Schleim, welche an Speichel erinnerte. Es hatte Ähnlichkeiten, wie Madins Handy. „Leute, ich glaube wir sind hier nicht allein!“ Ich blickte nach oben.

 

Das riesige Monstermädchen hing wie eine Spinne an der Decke, mit dem Rücken zu uns und ihr Kopf war wieder um die halbe Achse zu uns gedreht. Ihre giftgrünen Augen waren weit offen, ihr Mund war offen und sie präsentierte ihre scharfen Zähne. Ihre Zunge streckte sie aus ihrem Mund und sie leckte sich ihre Lippen ab, als hätte sie Hunger. „Lauft!“, rief ich. Wir rannten sofort los. Das riesige Monstermädchen sprang von der Decke herunter und landete auf Hannah. Sie wurde komplett zermatscht und Blutspritzer flogen in alle Richtungen. Ana und mir blieb kaum Zeit, Hannahs Tod zu realisieren, weil das riesige Monstermädchen immer noch hinter uns her war und viel schneller war, als wir. „Ilias, schnell, der Spiegel!“, rief Ana. Ich nahm schnell das Laken vom Spiegel und richtete den Spiegel auf das Monstermädchen. „Es funktioniert!“. Ich sah zu Ana rüber und sie lachte verzweifelt. Das riesige Monstermädchen jedoch schreckte zurück. „Was ist das denn? Ilias, sie schrumpft, mach weiter!“, rief Ana zu mir. Das riesige Monstermädchen wurde immer kleiner. Sie fing an, sehr laut zu kreischen, wie ein Monster. Es war kein menschlicher Schrei, man konnte es kaum ertragen. Aus Reflex hielten Ana und ich uns die Augen zu, dabei ließ ich leider den Spiegel los. Er fiel mir runter und landete auf den Boden. Es klirrte. Ich bückte mich und wollte ihn schnell aufheben, jedoch war er zertrümmert. Das Mädchen war schon zur Hälfte geschrumpft und hatte jetzt ungefähr die Größe eines Löwen. Sie krabbelte auf mich zu und erwischte mich an meinem Arm. Dabei rutschte sie auf den Glassplitter aus und verletzte sich. Das war die Chance. „Ilias, wir müssen weg!“. Ana nahm meine Hand und zog mich fort, dabei konnte ich mir noch einen Splitter vom Spiegel greifen, der so groß wie ein Dolch wahr. Ich verdeckte ihn mit meinem Pullover und sah kurz zurück.

 

Ich sah in die Augen des Monstermädchens und begriff plötzlich, dass sie litt. Für einen kurzen Moment sah ich einen Menschen in ihr. Dann erinnerte ich mich wieder, dass sie uns hergelockt und Madin gefressen und ihn dann an den Baum gehängt hatte. Und, dass sie Elric, Hannah und Emilia getötet hatte, und ihretwegen Ben an dem verzauberten Spiegel gestorben war. Nein, dieses Ding war ein Monster! „Ilias, das ist unsere Chance, lass uns hier verschwinden!“. Ana zerrte an meinem Arm. „Nein, das alles ist nur geschehen, weil ich hinter dem Mädchen hergerannt bin“, rief ich. „Hätte ich gewusst, dass sie es ist, weswegen so viele Menschen vermisst werden, dann wäre das alles nicht passiert. Ich muss dafür sorgen, dass es aufhört!“ Ich nahm die Glasscherbe und hielt sie wie ein Schwert. Ich war so voller Wut, sogar Ana blickte mich erschrocken an, doch dann wurde ihr Blick kämpferisch. „Ilias, tun wir es jetzt, an diesem Ort?“. Ana war bereit zum Angriff. Sie fühlte dieselbe Wut und wollte ihre Freunde ebenso rächen, wie ich meine. „Ja. Wir entscheiden es hier und jetzt!“. Ich und Ana rannten auf das Monster los. Es lag immer noch verwundet, durch die Glassplitter auf dem Boden. Ana kam von hinten und hielt Arme und Beine fest. Ich sprang von vorne aif das Mädchen zu und streckte den Splitter weit nach vorne. Das Monstermädchen befreite sich aus Anas Griff, doch zum Glück stach der Glassplitter genau zwischen ihren Augen in ihr Gehirn. Das ganze Blut verdeckte meine Sicht, dadurch konnte ich kaum etwas erkennen. Die Spiegelscherbe wurde heiß und verbrannte ihr Gehirn und sie schrumpfte dabei weiter. Dabei verbrannte auch ich mir meine Hände, jedoch ließ ich mir nichts anmerken. Meine Wut und mein Hass überkamen mich und blendeten alles aus. Ich sah mit zornigem Blick auf den Boden, wo die Leiche des Monsters lag.

 

Es hatte wieder seine ursprüngliche Gestalt angenommen, die ein kleines Kindes im roten Kleid. „Es ist vorbei. Wir haben es geschafft“. Ana kam zu mir und griff meine Hand. In dem Moment fing ich an, die Schmerzen zu spüren. Meine Wut legte sich und ich umarmte Ana. „Komm, lass uns gehen“, sagte ich ihr. Wir gingen die Treppe hinunter zur Tür – der Freiheit entgegen. Die Tür war nicht mehr verschlossen, also gingen wir hindurch. Am dunklen Himmel und weit hinten zwischen den Bäumen funkelten grüne Lichter, die so aussahen, als würde sich dort etwas auflösen. Vermutlich die Barriere, die diesen Wald so speziell machte. Obwohl die Lichter uns vorher vom Rest der Welt ausgesperrt hatten, war der Anblick irgendwie schön anzusehen.

 

Ana und ich fanden aus dem Wald heraus und liefen zurück nach Hause. „Ilias, wir sind frei“. Ana sah mir in die Augen. Sie lächelte und weinte zu gleich. „Ja, wir sind frei“. Ich konnte mich nicht zurückhalten und fing auch an zu weinen. Wir waren so erleichtert und dachten, dass der Albtraum endlich vorbei wäre, jedoch war alles anders. Wir hatten vergessen, dass wir nun in der Zukunft waren. Wir waren zwar frei, aber die Zeit im Wald war völlig anders vergangen. In Wirklichkeit waren 23 Jahre verstrichen. Keiner kannte uns mehr, unsere Familien hatten uns vergessen. Und so hielten wir es für das Beste, sie nicht mit unserem Wiederkommen zu belasten, da wir noch so aussahen, wie vor 23 Jahren.

 

Ana und ich waren also auf uns gestellt und wir lebten von nun an zusammen.