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Das Abenteuer des ,Frei´seins

Das Abenteuer des ,Frei’seins

von Juleen A. Haberkorn

 

 

Es war der 24. August 2017, ein sonniger Morgen, die Vögel zwitscherten, die Kirschen am Kirschbaum in unserem Garten sahen so schön süß aus, weinrot. 

Und trotzdem war ich genervt. Das bin ich sonst nie bei diesem wunderbaren Wetter!

Am Abend zuvor hatte ich im Radio ständig dieses eine Wort gehört, “frei”. Alles was in meinem Kopf schwebte, war das Wort “frei”. Überall wohin ich sehe, steht es. Freiheit, Freizeit, Freiburg, alkoholfrei, glutenfrei, Freilandgemüse, Freilandeier. Und jetzt wollte das Wort einfach nicht aus meinem Kopf. 

 

Um mich abzulenken, ging ich in die Küche um meine leckeren Samstags-Pfannkuchen zu essen, auf welche ich mich schon die ganze Woche freute. 

Während ich den Flur entlang lief, bis zur Treppe, die zur Küche führt, ging mir das verfluchte Wort immer noch nicht aus dem Kopf. Ich entschied die Schritte bis zur Küche zu zählen, 1,2,3… 23. Bis heute weiß ich es noch so genau, als sei es gestern gewesen. Es war aber vorgestern. 

 

Als ich dann nach 23 Schritten in der Küche ankam, sah ich die Pfannkuchen und vergaß für einen kleinen Moment alles. Diese leckeren Pfannkuchen, die jeder aus der Familie liebt. Sie waren nicht zu süß aber auch nicht zu geschmacklos, einfach perfekt. Mit einem hauchdünnen Nutella Belag oben drauf, einfach nur geil! 

Ich setzte mich an den Tisch um loszuessen. Dabei vergaß ich sogar meiner Mutter einen Guten Morgen zu wünschen, deshalb tat sie es. „Guten Morgen Angelina. Denkst du bitte dran, dass du heute rechtzeitig zu Oma und Opa gehst?“ 

Auch das hatte ich total vergessen. 

Jeden Samstag ist Oma und Opa Tag. Das Highlight der Woche! 

 

Drei Stunden später, gegen ein Uhr, machte ich mich auf den Weg zu Oma und Opa. Ich ging an der Großen Hundewiese vorbei, wo ich den Postboten Herrn Leser mit seinem Hund Ben traf, „Guten Morgen, Kleine!“ rief er mir zu, woraufhin ich fragte, wie es ihm geht. 

Er antwortete mit „Sehr gut, ich genieße meinen freien Tag mit Ben!“ Innerlich rollte ich meine Augen und wünschte mir, ich hätte ihn niemals gefragt. 

Ich hatte dieses nervige Wort doch gerade vergessen und schon wird es wieder erwähnt. 

Zum Glück war ich fast bei Opa und Oma, wo ich immer Ablenkung fand. Ich musste nur noch die riesige Kreuzung überqueren, welche mich immer an den Times Square erinnerte. Ganz vertieft in meinen Gedanken stand ich an der Ampel; plötzlich sprach der Mann hinter mir „Mensch Mädchen, geh doch rüber. Siehst du nicht? Es ist frei!“ Ich war kurz vorm Durchdrehen. Überall dieses Wort! Ich fühlte mich verfolgt, so als wäre es das einzige Wort in unserem Wortschatz. 

Ich wollte nur noch zu Oma und Opa. Dort kam ich dann drei Minuten später an. 

Ich begrüßte die zwei, nahm sie in den Arm und fragte Opa direkt, was er unter dem Wort „frei“ versteht und was das überhaupt heißt. 

Daraufhin nahm er mich mit in den Keller. Er zeigte mir diese komische Maschine, mit riesiger Glaskapsel, in welche man sich setzen konnte. Es war eine Zeitmaschine, erläuterte mir Opa. „Die habe ich selbst gebaut.“ Natürlich keine echte, dachte ich mir direkt. Doch als wir uns reinsetzten, fühlte es sich doch irgendwie echt an. Nachdem wir uns in die Kapsel setzten, sagte Opa zu mir: „Das Wort ‚frei‘ ist ein sehr vielseitiges Wort.“ 

Ich guckte ihn verwirrt an und er sprach weiter „Lass uns eine kleine Zeitreise machen.“ Die einzige Frage, die ich mir stellte war, was zur Hölle hat diese Klapperkiste und eine Zeitreise mit dem Wort ‚frei‘ zu tun? 

Opa erzählte mir, dass wir vier Stopps machen würden. Er fing an komische Geräusche zu machen, drückte auf eine Fernbedienung und auf ein Mal fing die Klapperkiste wie verrückt an zu ruckeln und zu vibrieren. Im ersten Moment dachte ich, dass das Teil jetzt auseinander fällt, bis er anfing zu sprechen: „Willkommen im 15. Jahrhundert Angelina.“ 

Ich guckte ihn an, als wäre er verrückt geworden, ich meine ich war schon dreizehn Jahre alt, es fiel mir schwer mich darauf einzulassen. Doch ein bisschen süß war es trotzdem, wie sehr Opa sich darein fühlte. 

Opa redete einfach weiter: „Im 15. Jahrhundert, fing die Sklaverei an…“ 

Ich unterbrach ihn direkt, bevor er überhaupt aussprechen konnte und fragte ihn, was die Sklaverei denn mit frei zutun hat. Ich meine Sklaven waren alles andere als frei. 

Typisch ich, ich habe nie jemanden ausreden lassen. 

Opa antwortete ganz ernst: „Angelina! Lass mich doch mal zu Ende reden.“ Weiter ging es, ich nahm mir vor, Opa ausreden zu lassen und ihm gespannt zuzuhören. Auch wenn ich absolut keinen Bock hatte. 

„Also…“, sprach Opa und fing an weiter zu reden „Die Sklaverei war in Süd- und Mittelamerika dort waren die Spanischen Kolonisten, welche die Einheimischen zu Sklaven machten. Diese mussten vor allem in Bergwerken arbeiten, um ihren Herren Gold zu bringen.“

Ich unterbrache mal wieder und fragte ihn, wann die Zeit der Sklaven endete. Doch wieder erntete ich nur seinen genervten Blick.

„Sieh hier, Angelina, bevor ich weiterrede. Da siehst Du wie ein Sklave ausgepeitscht wird!“ Ich sah durch die Luke der Kapsel.

„Aua, das sieht so schrecklich aus!“ entgegnete ich Opa. 

„Nun lass uns ein paar hundert Jahre weiter reisen. Dann kann ich dir erzählen, wann die Zeit endete. Die Sklaverei wurde offiziell im Jahre 1865 abgeschafft, danach waren die Sklaven frei. Oder sollten es wenigstens sein.“

Sie sahen so glücklich aus, ein ganz anderes Bild. 

„Nun lass uns erst einmal zurück in den Keller reisen und etwas Proviant einpacken.“ sagte Opa dann.

Damit war ich natürlich sofort einverstanden.

In der zeit, in der Opa Apfelsaft und gezuckerte Erdbeeren holte, machte ich mir Gedanken über diese komische Klapperkiste. Es fühlte sich alles so echt an. 

Als Opa wiederkam fragte ich ihn direkt, ob die Maschine echt sei oder ob er das alles projizierte. Und wenn ja, wie? Weil alles so echt war. 

„Natürlich ist die Maschine echt, da habe ich nichts projiziert!“

Doch er kann mich nicht täuschen. Ich erkannte die Ironie in seinem Blick und hörte es an seiner Stimme. So ein Spinner, dachte ich mir. Doch ich tat einfach so, als würde ich ihm glauben.

Wir setzten wieder in die riesige Glaskapsel und Opa fragte, ob ich bereit sei für die nächste Reise.

 „Natürlich Opa!“ rief ich. Wieder fing er an diese komischen Geräusche zu machen und die alte Kiste vibrierte und wackelte wie verrückt. Wieder mal dachte ich, dass die Maschine kaputt geht. 

Und auf ein Mal, BOOOUUUM, wie aus dem Nichts. 

Wir saßen auf Betonboden, hörten laute Schüsse und sagen Leute durch die Gegend laufen.

„Wo sind wir?“ fragte ich Opa geschockt. 

„Angelina, das weiß ich selbst nicht.“ entgegnete mir Opa. Dabei merkte ich, dass er noch viel überraschter war als ich. 

Wir standen auf und schauten uns um. Eine komische Stimmung war zu spüren.

Überall rannten Leute durch die Gegend. Die Häuser waren kaputt und sehr unstabil gebaut und die Stadt voller Chaos. Man spürte den Stress der Menschen. 

„Sieh da!“ rief Opa. 

Ich schaute in die Richtung, in die er zeigte. Ich sah eine riesengroße rote Flagge mit einem schwarzen Zeichen. An irgendwas erinnerte sie mich. 

Dann wusste ich’s, die Flagge der Nazis. 

„Opa?“ fragte ich „Willst du mir jetzt einen Nazi des 21. Jahrhunderts vorstellen oder was hast du vor?“ 

„Aber nein, Angelina. Wir sind in der Zeit, wo Adolf Hitler an der Macht war!“ 

„Niemals! Wie soll das denn gehen, willst du mich verarschen??“ fragte ich Opa verdutzt.

„Nein, Nein, Nein. Das kann doch gar nicht sein. Das ist doch keine echte Zeitmaschine!“ 

Ich antwortete Opa: „Ja, das dachte ich auch!“ Und schon lief Opa zu einem der Bürger und fragte welches Datum sei und wie spät es ist. Der sah meinen Opa ganz verwirrt an und antwortete genervt: „Heute ist der 30. Januar 1933! So ein wichtiger Tag für uns Deutsche und Sie wissen nicht welches Datum heute ist. Sehr traurig, Schande über sie! Wahrscheinlich bist Du ein Jude, du Dreckskerl!“ 

Opa kam zurück und sagte mir, dass wir den 30. Januar 1933 hätten, den Tag an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg den NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler ernannte. Ich konnte Opa kaum glauben. Überall sah man die Flaggen der Nazis. Die jungen Männer trugen Uniformen mit dem Zeichen der Nazis. Ich hoffte einfach nur schnell hier weg zu kommen. 

Wir machten uns Gedanken und fragten uns, wie wir wieder zurückkommen würden. 

Also fing Opa an zu überlegen wie er die Maschine damals gebaut hat. Dabei nuschelte er irgendwas. Verstanden habe ich ihn aber nicht. Weshalb ich nachfragte „Was meintest du Opa?“

Er antwortete „Ach nichts, meine Kleine, ich habe nur laut gedacht. Ich meine, es ist so lange her. Als ich die Maschine gebaut habe war ich noch jung und knackig!“

Ich ermutigte Opa und sprach ihn Mut zu  „Denk nach Opa! Du kannst das, ich glaub an dich.“ 

Auf ein Mal, wie aus dem Nichts fiel ihm alles wieder ein. 

Er wusste alles ganz genau, als hätte er gerade den Bauplan studiert.

Also baute er sie wieder auf, er sammelte die Teile zusammen und versuchte die Maschine wieder zusammenzubauen. Allerdings fehlten einige Schrauben, doch Gott sei dank, ist die Stadt ein bisschen chaotisch und überall liegen Schrauben rum. 

Warum auch immer, das war mir in dem Moment egal, ich wollte einfach nur zurück nach Hause. 

Naja, vielleicht war ich auch zuhause nur es sah anders aus als im 20. Jahrhundert.

Das war mir aber gerade egal. Ich war einfach nur froh, dass wir die Teile zusammenfinden konnten! Sonst würden wir hier niemals wieder wegkommen. Was für ein Glück! 

Ich wollte Opa unbedingt helfen, doch er stand so unter Stress und Angst, dass er mich nicht helfen ließ. 

Nach etwa 4 Stunden war die Alte Klapperkiste wieder heil. 

Jetzt hieß es nur noch hoffen, dass das alles so funktioniert, wie es soll. Ich konnte es einfach nicht glauben. Mein Opa hat einfach eine Zeitmaschine gebaut, welche auch noch funktioniert.

Das kann doch nur ein Traum sein. 

Wir setzten uns in die Kapsel der Klapperkiste. 3 - 2 – 1… Opa fing an die merkwürdigen Geräusche zu machen, die Zeitmaschine fing wieder an zu klappern. Diesmal hoffte ich, dass die Maschine ganz bleibt und dass wir endlich zurückkommen würden.

Unsere Hoffnung war riesig. Doch dann: große Enttäuschung, wir waren immer noch im Jahre 1933, dachten wir zumindest. 

Wir stiegen aus und sahen Menschen durch die Gegend fliegen mit Autos. 

Über all hört man Roboter Stimmen.

In Läden arbeiten nur Roboter, Menschen sind kaum zu sehen, nur in der Luft.

Mein Opa rief: „Wir sind schon wieder falsch!“

Ich fragte ihn wo wir sind, das ist nicht zuhause! 

Er sagte: „Wir sind viel zu weit!“

Mir schossen die Tränen ins Auge. Ich dachte wir kommen nie mehr Nachhause.

Wieder rein in die Kapsel und das ganze Geschehen von vorne. 

Opa sagte: „Ich glaube ich habe mich in der Hektik vertippt. Wir sind wahrscheinlich im Jahr 2917!“

Langsam verliere ich die Hoffnung. Gleich landen wir noch in der Steinzeit und werden von irgendwelchen Homo Erectus erschlagen. 

Opa fing wieder an mit den Geräuschen, immer noch war es komisch. Doch das war mir in dem Moment egal. 

Er drückte die Fernbedienung, alles vibrierte. Auf ein Mal die große Erleichterung!

Die Klapperkiste sprang auseinander, wir landeten auf einer großen Wiese. Die Sonne scheint und wir liegen unter einem Apfelbaum. 

Völlig erschöpft realisierten wir, dass wir im Garten von Oma und Opa lagen.

Oma kam in den Garten und brachte uns ein Glas Apfelsaft.

Als sie wieder ging, guckte sie einmal verwundert zurück und ging ins Haus.

Dann sagte Opa: „Angelina, ich glaube ‚frei‘ heißt unterm Apfelbaum liegen und ein Glas Apfelsaft trinken.“

Ich glaube, damit hatte Opa absolut recht. 

Und wieder ging ein wunderschöner Tag mit Oma und Opa zu Ende. 

Was für ein Abenteuer !!

Ich glaube das erzähle ich einem Journalisten. Ob die mir glauben werden? 

Naja, ich denke nicht. 

Ich behalte es einfach für mich.