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Die Welt die nach mir ruft

Die Welt die nach mir ruft
von 
Patricia Hilse

 

Chapter 1

Der Wind weht durch die Baumkronen, welche sich dadurch gefährlich in Richtung Boden neigen. Ich stehe in einem kleinen Bach und meine Schuhe sind durchtränkt von dem kalten Wasser. Es ist jedoch kein unangenehmes Gefühl, im Gegenteil, es fühlt sich gut an und auch irgendwie nach… Der Wecker reißt mich aus meinem Traum, an den ich mich nun wie jedes Mal nicht wirklich mehr erinnern kann. Ich weiß nicht was ich geträumt habe. Nur, dass sich dieser Traum sehr vertraut und schön angefühlt hat.

Freitagmorgen und ich quäle mich den letzten Tag der Woche aus dem Bett. Müde schleiche ich zum Schrank und betrachte mich für einen kurzen Augenblick im Spiegel. Meine Locken sehen heute nicht so schön aus wie sonst, eher wie ein gesprengter Hamster, der eine Steckdose von Nahem gesehen hat. Meine Augen sind von leichten Augenringen unterzeichnet, doch diese machen mir nichts aus, im Gegenteil, sie lassen mich menschlich aussehen. Ich ziehe mir meine Klamotten aus dem Schrank. Ich mag zwar nicht viel Wert auf Farben in meiner Kleidung legen, doch ohne zwei verschiedene Socken gehe ich eigentlich nicht aus dem Haus. Mit den Sachen schlendere ich ins Bad und mache mich dort fertig. Beim Zähne putzen betrachte ich meine blauen Augen und die Sommersprossen, welche sich über mein ganzes Gesicht verteilen. Keiner aus meiner Familie hat Sommersprossen oder meine feuerrote Lockenpracht. Ich lege die Zahnbürste weg und gehe wieder in mein Zimmer, schnappe mir meine Schulsachen und ein Buch und gehe runter in die Küche. Dort hängt wie eigentlich jeden morgen ein Zettel am Kühlschrank mit den gleichen Worten „Guten Morgen Via, iss doch heute bitte ohne mich zu Abend, im Büro wird es heute später.“ Ich seufze und nehme mir das Geld, welches auf der Küchenzeile liegt und gehe in den Flur, dort ziehe ich mir Schuhe und Jacke an und nehme meinen Schlüssel, die Tasche und mein Buch. Ich gehe raus schließe ab und gehe zum Bus. Dieser kommt auch schon sehr schnell und ich steige ein. Ich setzte mich in einer der letzten Reihen hin und betrachte die anderen Schüler im Bus. Da mir dies sehr schnell langweilig wird, sehe ich zum ersten Mal heute auf mein Handy. Nicht viele Nachrichten. Nur meine Musik App braucht die Bestätigung für ein Update. Die Nachrichten schiebe ich einfach weg, mich interessiert kein bekannter Sänger, welche seine Freundin verlassen hat oder wer den Summer Body des Jahres hat. Nichts Spannendes auf dem Handy, also lasse ich das Update der App zu und stecke es wieder in meine Jackentasche. Auf einmal gibt mein Handy einen vertrauten Ton von sich. Meine beste Freundin Mia schreibt mir, dass sie heute nicht kommt. Ich seufze und packe mein Handy zum zweiten Mal wieder in die Jacke. Nun nehme ich mir mein Buch aus der Tasche, es dauert nicht lange und ich bin in das Buch ganz vertieft. Doch nach einer recht schnellen Fahrt erreiche ich auch schon meine Highschool ich klappe das Buch zu und achtete darauf, dass mein Finger zwischen den Seiten bleibt und steige aus dem Bus. Jeder begrüßt sich, doch ich laufe schnell in meine Kunstklasse und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Ich schlage die Seiten zwischen meinem Finger wieder auf um weiter zu lesen. 

Ich bekomme nicht mit das die Schüler eintreten oder der Lehrer. Nicht einmal die Klingel bekomme ich mit. Erst als ich von hinten angestupst werde, wird mir klar, dass ich gerade 50 Minuten des Unterrichts mit Lesen verbracht habe. Ich drehe mich etwas verwirrt zu dem Störenfried um und dieser zeigt wortlos nach vorne. Ich drehe meinen halb verrenkten Oberkörper wieder nach vorne und im gleichen Moment gefriert mir das Blut in den Adern und ich falle in eine Schockstarre. Ich kenne den einen, aber woher? Ich weiß es nicht, es kommt mir so vor, als dass ich mit ihm verwandt oder verbunden bin. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben. „So, da jetzt von allen die Aufmerksamkeit vorne liegt, stelle ich euch kurz unsere beiden neuen Schüler vor. Das sind Linkle und Hope. Alle Fragen könnt ihr dann nach meinem Unterricht klären. Setzt euch doch gerne hier vorne hin. Jetzt machen wir weiter. Also wo war ich stehen ge…“ Ab da höre ich nicht mehr zu. Mir ist übel und ich kann mich nur langsam aus der Schockstarre lösen. Den Rest der Stunde starre ich nur auf meinen Tisch und werde nach gefühlten unzähligen Stunden aus den Gedanken gerissen. Es klingelt, na endlich. Ich stehe langsam und ruhig auf, dabei versuche ich so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erregen. Es werden viele Fragen an die beiden gestellt. Mir geht es nicht so gut. Ich flüchte ins Mädchenklo und verschanze mich in einer der Kabinen. Auch lange nach dem Klingeln bleibe ich sitzen. 

Ich ziehe mein Handy aus der Jacke und schreibe Vanessa, sie ist meine Ziehmutter. „Es geht mir nicht gut, gehe nach Hause. Brauche für Montag eine Entschuldigung. Ich frage Dave. Mach dir keine Sorgen und arbeite weiter. Bis Später!“ Dave ist mein Ziehvater und Arzt mit eigener Praxis. Ich verlasse das Gebäude und den Hof, zum Glück ohne Begegnungen mit Lehrern oder anderen Schülern. Nachdem ich die Schule verlassen habe, schlendere ich etwas in der Gegend rum und entscheide mich im Wald etwas spazieren zu gehen. Nicht einmal 15 Minuten später bin ich im Wald. Plötzlich piept mein Handy. Ich ziehe es aus der Tasche und sehe eine Nachricht von Vanessa. „Okay, bis heute Abend.“ Ich stecke mein Handy weg und hole mein Buch raus und beginne zu lesen. Es vergehen Stunden, in denen ich nichts von meiner Umwelt mitbekomme. Ich lese gerade die letzte Seite meines Buches, als plötzlich eine starke kalte Böe vorbeiweht. Ich lese noch zu Ende und packe das Buch in die Tasche. Mein Magen fängt an zu knurren und ich beschließe nach Hause zu gehen. Bei einem kurzen Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass die Nacht so langsam anbricht. Den Weg nach Hause kenne ich auswendig und er geht sehr schnell. Nicht einmal 10 Minuten später bin ich zu Hause und sehe Vanessa und Dave am Küchentisch essen. Ich setze mich dazu und sage kurz und knapp: „Hab im Wald gelesen und die Zeit vergessen.“ Die beiden nicken nur synchron und essen weiter. Ich beginne auch zu essen und gehe anschließend hoch und lege mich ins Bett. Über die beiden Neuen habe ich mir keine weiteren Gedanken gemacht, bis jetzt. Doch jetzt bin ich zu müde um darüber nachzudenken. Ich schließe noch mein Handy an und schon fallen mir die Augen zu.

Chapter 2

Mitten in der Nacht klingelt mein Handy und ich werde davon wach. Mir hat eine unbekannte Nummer geschrieben. Ich runzele die Stirn und öffne die Nachricht, dabei kneife ich die Augen zusammen, da der Bildschirm doch heller war, als gedacht. Endlich haben sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt und ich lese ein Einfaches: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“. Das ist komisch. Es ist zwar mein echter Geburtstag ist, doch feiern tue ich ihn nicht. Bei Dave und Vanessa feiern wir den Tag, an dem ich zu ihnen gekommen bin als meinen Geburtstag und der Tag war dieses Jahr schon. Ich lege mein Handy weg und versuche weiter zu schlafen. Dies klappt jedoch nicht richtig und ich wälze mich die restliche Zeit nur im Bett hin und her. Immer mal wieder nicke ich weg, doch das war’s auch schon wieder. Gegen neun beschließe ich dann doch aufzustehen. Also stehe ich auf und schlurfe ins Bad. Fertig geduscht und mit einem Handtuchturban auf dem Kopf gehe ich zurück in mein Zimmer. Auf dem Handy sehe ich eine Erinnerung für meinem Therapietermin - in einer halben Stunde??? „Shit, den habe ich ja total vergessen“ rufe ich und springe auf. Ich ziehe irgendwelche Klamotten aus dem Schrank und ziehe sie an. Ich lege einen kleinen Sprint ins Bad hin und putze mir in Weltrekordzeit die Zähne und mache mich fertig. Schnell renne ich die Treppe runter und greife mir beim Vorbeigehen in der Küche noch einen Apfel. Ich laufe in die Garage und schnappe mir mein Fahrrad. Aus der Tür geschoben, schwinge ich mich auf den Sattel und trete los. Ich brauche rund 20 Minuten zu meinem Therapeuten. Die Dame beim Empfang lächelt mich freundlich an und zeigt ins Wartezimmer. Ich nicke nur und lasse mich auch schon auf den Stuhl fallen. Ich warte noch knapp fünf Minuten und dann werde ich auch schon aufgerufen. Langsam gehe ich den bekannten Flur entlang und setzte mich auf den Stuhl in der Mitte des Raumes. Nach nicht einmal zwei Minuten kommt mein Therapeut Mr. Smith rein. (Den Doktortitel hat er nicht so gerne, daher einfach nur Mr. Smith) „Guten Morgen Via. Wie ich sehe hast du unseren Termin wieder einmal fast verpasst.“ Ich sehe ihn verwundert an und er erwidert in einem lachenden Ton: „Du trägst zwei gleiche Socken. Also: entweder du hast deinen Kleiderstil noch einmal überdacht, da der Rest aber gleichgeblieben ist, gehe ich eher vom vergessenen Termin aus.“ Ich sehe in mit einem langsam rot werdendem Kopf an und muss auch etwas schmunzeln. „Es ist schön dich zu sehen, liegt dir heute etwas auf dem Herzen?“ Ich überlege einen Augenblick und antworte schließlich: „Ich hatte schon wieder einen Traum, an den ich mich nicht erinnern kann, trotzdem aber weiß ich, dass es ein guter Traum war.“ „Das ist komisch und von so einem Fall habe ich auch noch nie gehört“, sagte Mr. Smith. „Das sagen Sie bereits, auch schon die Termine zuvor“, antwortete ich etwas entnervt. So verging die gesamte Stunde, er sagte immer wieder er könne mir nicht helfen, da er es nicht kannte. Sonst schwiegen wir uns an. Das soll ein guter Therapeut sein? Der kann ja gar nichts.

Auf dem Weg nach Hause wurde mir wieder einmal klar, dass ich keinen neuen Termin hätte machen sollen. Er ist einfach kein guter Therapeut und besonders nicht für das Geld, welches Vanessa und Dave für ihn bezahlten. Ich sollte mal mit den beiden sprechen. Endlich zu Hause angekommen mache ich mich wieder hoch in mein Zimmer. Auf meinem Bett steht ein kleiner Karton mit einer Karte drauf. Ich gehe zum Bett und nehme die Karte in die Hand. Auf der Karte steht in einer wunderschönen Schrift 

Sie sind bereit, meine Königin! Geben Sie gut drauf acht!“ 

Ich drehe die Karte um doch mehr steht da nicht drauf. Als ich die Karte zurückdrehe, ist die Karte ganz leer. „Das habe ich mir doch nicht eingebildet“, murmle ich und lege die Karte beiseite. Ich öffne vorsichtig den Karton und zum Vorschein kam eine kleine Kette mit einem Anhänger in Form eines Schlüssels. Ich nehme die Kette aus dem Karton und muss schon sagen, die ist wirklich wahnsinnig schön. Von Dave und Vanessa kann die Kette nicht sein, ich habe die Beiden echt lieb, doch dafür kennen mich die Beiden zu wenig. Zu meinem „Geburtstag“ schenkten sie mir dieses Jahr das gleiche Buch, welches ich letztes Jahr schon bekommen hatte von ihnen. Also steckte in ihren Geschenken nichtsonderlich viel Mühe. Ich wollte es ihnen nur nicht sagen, also freute ich mich wie letztes Jahr. Ich lege die Kette beim Rausgehen um und gehe in die Küche. Dort mache ich mir ein einfaches Sandwich und will gerade wieder in mein Zimmer gehen, als mir im Türrahmen der Teller aus der Hand fällt und ich wie angewurzelt sehen bleibe. „WER BIST DU UND WIE BIST DU HIER REIN GEKOMMEN???“, schreie ich schon fast panisch. Auf meinem Bett sitzt der Junge aus der Schule, welcher mir so bekannt vorkam. „Bitte, bitte, schrei doch nicht so. Ich bin schon etwas gekränkt, dass du mich nicht wiedererkennst“, antwortet er gelassen. „Ich soll dich wiedererkennen, woher denn? Ja, aus der Schule und das war’s. Ich kenne dich nicht mal richtig, also kann ich mich auch nicht erinnern.“ Er steht auf und kommt in meine Richtung. Ich stehe immer noch wie angewurzelt. Er bleibt stehen und sagt sehr ruhig: „Seinen Bruder sollte man nicht so schnell vergessen.“

Chapter 3

„Mmmeinen WAS?“, frage ich total erschüttert. „Sag bloß du erinnerst dich wirklich nicht?“ Ich sehe ihn total geschockt und bleich an. „Du weißt es wirklich nicht mehr“, sagt nun auch er total erschrocken. „Jetzt muss das Ganze für dich total irre aussehen und ich wie so ein Psycho, doch ich bin wirklich dein Bruder, genau genommen sogar dein Zwillingsbruder. Bevor du jetzt los schreist, hör mir lieber zu. Okay?“ Ich nicke ihm nur zu und er fährt fort: „Okay, wo fange ich an?“ Er überlegt einen Moment und sagt dann: „Denke nicht ich bin verrückt. Du liest sehr viel, nicht?“ „Ja, genau.“ „Also hast du bestimmt auch schon von diesen ganzen Fantasy Orten gehört, oder?“ Ich nicke wieder nur. „Okay, diese sind real. Also nicht wirklich so wie sie in den Büchern stehen, eher viel sinnvoller und weniger unrealistisch“, sprach er so schnell, dass ich ihn kaum verstanden habe. Er hat recht, es klingt verrückt und unrealistisch, denke ich mir. „Nein, es ist echt. Denke nicht es sei verrückt.“ Ich stottere: „Wwie haast duu daas gemacht?“ Er lacht: „Nein, ich kann keine Gedanken lesen, man hat es an deinem Gesichtsausdruck gesehen. Obwohl Gedankenlesen wäre schon mal echt nice.“ „Das wird mir gerade zu viel“, sage ich und setzte mich vorsichtig, ihn nicht aus den Augen lassend aufs Bett. „Das glaube ich dir, doch du musst mir zuhören. Der Anhänger an deiner Kette ist was ganz Besonderes und auch wichtig. Er ist das Tor zu deiner Welt.“ Ich sehe ihn an: „Meiner Welt, was meinst du damit?“ „Naja deine, unsere das ist doch egal. Wichtig ist, dass du hier nicht hingehörst.“ „Du äh..“ „Linkle, mein Name ist Linkle“, sagt er etwas gekränkt. „Ok, Linkle, das mag ja alles schön und gut klingen doch irgendwie ist es nicht sonderlich glaubhaft und es wirkt auch wahnsinnig verrückt. Du scheinst echt nett zu sein, doch vielleicht solltest du mal zum Psychologen. Ich würde dir ja meinen geben, doch der ist nicht sonderlich empfehlenswert. Also gehe jetzt bitte wie ein normaler Mensch durch die Haustür raus. Danke“, sage ich nun angesäuert und zeige in Richtung Tür. Beim Vorbeigehen sagt er noch: „Merke dir, eine Nahtoderfahrung offenbart dir alles“ und geht. 

Ich denke noch lange über seine Worte noch, nicht weil ich denke es sei etwas dran, eher weil ich mir wünschte es wäre was dran. Gedankenverloren spiele ich noch eine Ewigkeit mit dem Anhänger herum, bis ich merke, dass Dave nach Hause gekommen ist. Also stehe ich auf und mache mich auf den Weg in Richtung Küche. Ich komme rein und mich empfängt ein verheißungsvoller Duft. Dave sieht mich und sagt schnell: „Ich weiß heute ist zwar nicht unser Geburtstag, aber dein richtiger und da wir sonst so wenig Zeit haben, habe ich Mia eingeladen und ich dachte wir essen gemeinsam. Vanessa muss wieder länger arbeiten und kann daher nicht dabei sein, doch es wird auch so ganz gemütlich.“ Ich lächle ihn an, genau in dem Moment klingelt es an der Tür. Ich mache auf und eine energievolle Mia springt mir in die Arme. „Wir haben uns sooo lange nicht gesehen, es ist einiges passiert. Oh hey Dave“, sagt sie und winkt. Dave erwidert die Geste mit derselben. „Naja also wo fang…“, brabbelt Mia los und wird von mir unterbrochen: „Mia, wir haben uns gestern in der Schule nicht gesehen und das war’s. Den Tag davor haben wir doch sogar noch zusammen verbracht.“ Sie muss lachen, Dave und ich gleich mit. Tja, so war Mia halt, immer voller Energie, einfach ein menschlicher Flummi. „Setzt euch schonmal hin, macht die Tür zu und redet drin. Das Essen sollte auch gleich fertig sein“, sagt Dave mit dem gleichen Schmunzeln von eben. Erst helfen wir Dave noch und decken den Tisch, tragen das Essen rein und setzten uns dann alle gemeinsam hin. Wir füllen uns auf und die erste Zeit ist es still, bis Dave anfängt zu reden: „Also Via, Mr Smith hat mich heute in der Praxis angerufen; er findet, dass du nicht wirklich mitarbeitest und dich gegen Fortschritte stellst.“ Ich verschlucke mich an meinem Essen und beginne zu husten, dabei sehe ich Dave fassungslos in die Augen. Daher weht also der Wind; da Mia da ist, würde ich nichts abstreiten oder einen Streit provozieren. Falsch gedacht, denke ich mir. Nach dem sich mein Husten wieder beruhigt hatte, fange ich an zu sprechen: „Der Typ ist doch das Problem: ich versuche immer wieder mit ihm zu reden, doch sobald ich etwas sage, übersteigt es seine Kompetenzen. Der ist doch maßlos überfordert.“ Mia sitzt nur neben mir und versucht sich so unauffällig wie möglich eine zweite Portion aufzufüllen. „FROLLEIN, so nicht! Das ist jetzt schon der dritte Arzt innerhalb von zwei Jahren. Jedes Mal haben die Therapeuten Schuld. DAS KANN ES DOCH NICHT SEIN!“ wird Dave zum Schluss immer lauter und fährt komplett aus der Haut, ganz gegen seine sonst so ruhige Art. Mir schießen die Tränen in die Augen, so kenne ich ihn nur ganz selten, wenn er sehr sauer ist. Ich sehe ihn total erschrocken an. Ich bin fassungslos, mir fehlen die Worte. Ich springe auf, ziehe Mia vom Stuhl, die total verwirrt versucht sich noch ein Brötchen zu schnappen und laufe in Richtung Haustür. Dave ruft mir noch nach, ich solle doch stehen bleiben, doch ich höre schon gar nicht mehr zu. Mia lässt sich einfach hinterher ziehen und sagt nichts weiter. Wir gehen langsam in Richtung Subway Station. 

Dort angekommen, gehen wir die Treppen runter und Mia bleibt plötzlich stehen: „Via warte doch mal. Was war das gerade? Was meinte Dave da schon wieder? Ich dachte der Therapeut hilft dir. Du bist jetzt knapp seit zehn Jahren bei Dave und Vanessa. Deine Therapeuten haben so oft gewechselt wie andere Leute ihre Unterwäsche wechseln.“ Ich antworte ihr und laufe gleichzeitig weiter: „Bitte, du nicht auch noch. Ich will gerade nicht weiter darüber reden.“ Mia gibt nach und wir gehen weiter. Auf dem Weg zu den Gleisen, da die Bahn gerade kommt, wird es plötzlich sehr unruhig und hektisch. Die Menschen werden unruhig und es entsteht ein Gedrängel. Zwischen den Menschen sehe ich einen Rotschopf, Linkle? Er scheint immer näher zu kommen, doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, bemerke ich einen Stoß in den unteren Rücken und stürze ins Gleisbett. Ich höre Mia nur noch schreien und alles um mich herum wird schwarz.

Chapter 4

Ich versuche die Augen zu öffnen, doch es ist zu hell und ich muss immer wieder blinzeln. Als sich meine Augen dann doch an die Helligkeit gewöhnt haben, versuche ich mich umzusehen. Ich liege auf dem Rücken, das Letzte woran ich mich erinnern kann, ist wie ich auf dem Weg in die Bahn auf die Gleise gestoßen wurde. Mia war da und Linkle? Was hat er wohl dort gemacht? „Guten Morgen, Prinzessin, gut geschlafen?“ fragt mich eine Stimme. Ich blinzle einige Male und sehe ein Mädchen vor mir, sie kommt mir bekannt vor, doch woher. „Mein Name ist Hope, du solltest mich schon einmal gesehen haben, in der Schule am Freitag. Ich bin hier deine persönliche Beraterin und ich werde dir in allem zur Seite stehen“, sagt sie zu mir und reicht mir die Hand. Ich ergreife die Hand und stehe auf. Als ich mich umsehe, erkenne ich den Wald. Den Wald aus meinen Träumen. Doch halt, seit wann kann ich mich an meine Träume erinnern? Was ist hier los? Ich will gerade anfangen meine Fragen loszuwerden, als Hope mir zuvorkommt. „Du hast sicherlich ein paar Fragen“, sagt sie und verbessert sich im nächsten Satz gleich. „Natürlich hast du Fragen. Also wo fange ich an?“ Sie überlegt einen Augenblick, doch dieses Mal komme ich ihr zuvor: „Wo bin ich, was mache ich hier und warum kann ich mich jetzt an Sachen erinnern, die vorher total verschwommen in meinen Erinnerungen waren?“ „Okay, das sind doch mehr Fragen als gedacht. Also zu deiner ersten Frage, du bist nicht mehr in Amerika und auch genau genommen nicht mehr in deiner Welt, wie du sie kennst“, fängt sie an und mir schwirren noch mehr Gedanken als zuvor im Kopf herum. Hope spricht weiter: „Also, die Insel auf der du dich befindest nennt sich Veill. Veill ist ein Königreich und steht unter der Macht deiner Familie. So auch die Antwort für deine zweite Frage. Dein Königreich braucht einen Nachfolger für den Thron. Klar, normalerweise übernimmt es der erstgeborene Sohn, doch der ist einfach nicht in der Lage euer Reich zu führen. Er ist einfach zu kindisch für den Thron, daher musst du es machen. Er wäre kein guter Herrscher, da er zudem noch zwei linke Hände hat und keinen Kampf gewinnen würde, wenn es zu einem kommen würde. Ohne dich ist das Reich verloren. Jetzt sind zwei deiner Fragen schon geklärt, nun zu deiner dritten. Da diese Welt ja nicht auf deinem Planeten liegt und wir trotzdem versucht haben dich an deine Heimat zu gewöhnen, haben wir dir diese Träume geschickt. Da deine Welt jedoch eine andere ist, hast du diese vergessen. Beide Welten kommen nicht mit einander klar. Du hast vielleicht die Träume vergessen, doch das Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit ist geblieben. Selbst jetzt fühlst du dich sicher und hast keine Angst, obwohl du hier noch nie zuvor warst.“ Sie gibt mir einige Minuten um das Gesprochene etwas zu verarbeiten und sie hat Recht. Ich verspüre keine Angst oder irgendetwas Negatives, im Gegenteil es ist schön hier und auch sicher. Nach einiger Zeit fängt Hope wieder an zu sprechen: „Via, ich weiß es ist alles sehr schwer und auch viel für dich, doch wir müssen so langsam los. Dein Bruder erwartet dich schon.“ Ich sehe sie etwas verwundert und skeptisch an: „Sag bloß, du bist auch so eine die behauptet, Linkle sei mein Bruder?“ „Genau genommen ist er sogar dein Zwillingsbruder. Und jetzt komm, wir sind schon sehr spät dran.“ Widerwillig folge ich ihr ein Stück, bevor ich wieder stehen bleibe. Ich bin maßlos überfordert mit der Situation. Mir schwirren tausend weitere Fragen durch den Kopf. Hope greift meinen Arm und zieht mich weiter hinter sich her.

Nach einer Weile kommen wir bei einem riesigen Schloss an. Doch es sieht sehr protzig und einzigartig aus. Hope zieht mich weiter hinter sich her, doch nun ins Innere des Gebäudes. Innen sieht es genauso protzig aus wie von außen. Alles eher altmodisch mit vielen goldenen Details. Wir bleiben am Fußende einer riesigen Treppe stehen. Am oberen Ende steht Linkle. Er sieht anders aus als sonst. Ich habe ihn nicht oft gesehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er das letzte Mal eine Jogginghose anhatte. „Die Fragen bei dir sind wahrscheinlich sehr groß, doch momentan sind diese nicht zu beantworten. Es tut mir leid, doch im Moment ist es einfach nicht möglich.“ Ich nicke nur. „Jetzt soll es erst einmal Essen geben und danach solltest du versuchen etwas zu schlafen“, sind seine letzten Worte, bevor er sich die Treppe runter bewegt und an Hope und mir vorbei geht und hinter einer Tür verschwindet. Hope folgt ihm und zieht mich wieder hinter sich her. Wir drei setzen uns hin und die beiden beginnen zu essen. Ich sitze eher steif auf dem Stuhl und kann mich nicht aufs Essen freuen. „Wenn das hier eine andere Welt ist, wie bin ich dann in diese gekommen und vor allem wie komme ich wieder in meine Welt?“ Linkle sieht mich etwas entnervt an und beginnt: „Ich hatte gehofft du würdest wenigstens bis nach dem Essen warten. Ich hatte dir doch gesagt, dass dir eine Nahtoderfahrung alles offenbart: Tja, mit der Offenbarung war eher eine Teleportation in unsere Welt gemeint…“ Ich sehe ihn fassungslos an: „Der Stoß in der Subway, das warst du, oder? Ich hatte dich da gesehen und als ich dann auf die Gleise gefallen bin, hätte ich sterben können. Du hättest mich töten können!“ sage ich nun total aufgelöst und springe auf. „Ich möchte ein Zimmer haben, ich will alleine sein. SOFORT!“ „Via, jetzt beruhige dich doch…“, ich lasse Hope nicht aussprechen und beginne schon in Richtung Tür zu laufen, als Hope mich einholt. „Gut dann bring Via auf ein Zimmer. Lass sie sich eins aussuchen, Hope, es ist immerhin ihres für lange Zeit“, sagt Linkle. Ich denke mir nur, dass er das nicht zu entscheiden hat und folge Hope. Wir sehen uns einige Zimmer an und bei einem bleibe ich stehen. Es ist nicht das schönste vom denen, die wir schon gesehen hatten, doch es spricht mich mehr an, als die anderen. „Ich nehme das!“ sage ich zu Hope und gehe rein. Von ihr hört man nur noch ein Einfaches „Ist notiert“ und ich schlage schon die Tür zu. 

In dem Zimmer sind an zwei der vier Wände Bücherregale, welche bis oben hin mit Büchern voll sind. Ich gehe am ersten Regal vorbei und sehe mir die Einbände der Bücher genauer an. Bei einem Buch bleibe ich hängen, Die zauberhafte Geschichte von Veill“ Es ist in der gleichen Handschrift wie der Zettel zu der Kette geschrieben. Ich ziehe das alte Buch aus dem Regal, nicht lange zögernd, schlage es auf und setzte mich aufs Bett. Ich streiche vorsichtig über die ersten Seiten und beginne zu lesen. Ich lese immer weiter und bekomme nicht einmal mit, dass ich irgendwann eingeschlafen bin. Erst als ich am nächsten Tag von den Sonnenstrahlen auf meiner Nase geweckt wurde. Ich beginne mich langsam zu strecken und reibe mir die Augen. Nach dem ich mich angezogen habe, mache ich mich auf den Weg in Richtung Garten, den ich von meinem Fenster aus gesehen habe und beginne etwas in diesem zu spazieren. Nach einiger Zeit biege ich in einen Weg ein, der auf einer der beiden Seiten eine hohe Hecke hat. Ich laufe an dieser noch etwas entlang, bis ich ein Stück weiter weg Stimmen höre. Ich gehe etwas näher heran und entdecke in der Hecke ein kleines Loch. Durch dieses Loch kann ich Hope und Linkle erkennen. „Du kannst es ihr nicht lange verheimlichen, irgendwann wird sie doch mitbekommen, was sie erwartet.“ sagt Hope zu ihm. „Bis dahin wird sie vorbereitet und mit Glück wird sie es erst in letzter Minute erfahren. Je früher sie es erfährt, desto schneller wird sie es verweigern.“ antwortet Linkle ihr und die beiden gehen weiter. Was sie mir wohl verheimlichen?

Chapter 5

Ich versuche mich für die restliche Zeit nicht mehr so sehr damit zu beschäftigen und gehe bis zum Abend spazieren. Es tut gut und die Gegend ist auch sehr schön. In unserer Welt ist es gerade einmal Frühling und hier ist es schon fast Ende des Sommers. Es ist trotzdem echt warm und angenehm. Die Sonne hat noch ordentlich Kraft, doch einen Sonnenbrand sollte ich nicht mehr davontragen. Ich bin so in meinen Gedanken vertieft, dass ich nicht einmal die Zeit mitbekomme. „Hier bist du Via, ich habe dich schon überall gesucht. Das Essen ist vorbereitet. Linkle wünscht deine Anwesenheit“, höre ich Hope hinter mir sprechen. „Ich war sehr in meinen Gedanken vertieft. Tut mir leid, ich komme“, sage ich zu ihr. Wir gehen langsam wieder in Richtung des Schlosses. Ich fange an zu sprechen: „Ich habe vorhin das Gespräch zwischen dir und Linkle mitbekommen“, Hope bleibt einen kurzen Moment stehen, bevor sie weiter geht: „Ich hatte gehofft du fragst nicht mich. Also es gibt in unserem Land eine Tradition zur Krönung. Es ist schwer zu erklären, doch ich werde mein bestes versuchen. Sobald du alles weißt, gibt es kein Zurück mehr und du bist voll und ganz in unserer Welt. Ich habe dir schon einmal erzählt, das Linkle nicht für den Thron gemacht ist, daher bist du die einzige Nachkommin und musst diesen Patz einnehmen. Solltest du deinen Platz verweigern oder die Prüfung nicht bestehen, zerfällt unser Land. Du hast nur einen Versuch.“ spricht Hope langsam und ruhig mit mir. „Wie sieht diese Tradition oder Prüfung aus?“ Sie zögert einen kurzen Augenblick, bis sie weiterredet: „Es ist ein Sprung, ein Sprung zwischen deiner und unserer Welt. Es gibt noch weitere Menschen wie dich, die in diese Welt gehören, doch in der anderen geboren wurden. Es ist eine sehr schwere Prüfung, bei der du einmal in die andere Welt musst und wieder zurück. Daher huschst du zwei Mal am Tod vorbei und es ist sehr riskant. Dass du den ersten Sprung überlebt hast, ist ein Wunder, nicht jeder schafft das.“ Ich schlucke und frage weiter nach: „Wie trainiere ich auf so etwas hin und wenn ich es nicht schaffe zu springen, sterbe ich? Habe ich das richtig verstanden? Ach, und wenn ich sterbe stirbt Veill mit?“ „Das ist korrekt“, sagt Hope. „Trainieren kann man dich ja, jedoch wirst eine nicht so ausgereifte Trainingsphase haben, wie diese eigentlich vorgesehen ist. Du musst an deinem 18. Geburtstag deinen Prüfungssprung machen und bis dahin ist es gerade mal etwas weniger als ein Jahr. Du hättest schon viel früher in unsere Welt kommen müssen, doch es ging aus unerklärlichen Gründen nicht.“ Es ist eine Menge zu verdauen und ich bin sehr verängstigt. „Es ist schwer und auch sehr beängstigend“, erklärt mir Hope, „Doch hast du den ersten Sprung geschafft, sollte der zweite in diese Welt zurück dir vielleicht etwas leichter fallen. Jetzt lass uns aber endgültig zurückgehen, sonst wird das Essen noch kalt.“ Ich folge ihr. Im Speisesaal wartet Linkle, er hat schon angefangen. Hope und ich setzten uns hin, auch wir beginnen schweigend zu essen. Die Stille hält nicht lange an, da ich sie breche: „Ich weiß von der Prüfung.“ Linkle hört für einen Moment auf zu essen und nickt nur. Er wirkt sauer, versucht jedoch dies nicht am Tisch zu zeigen. Wir essen auf und ich verziehe mich ohne weitere Worte in mein Zimmer. Ich schnappe mir das gleiche Buch wie gestern Die zauberhafte Geschichte von Veill“ und beginne zu lesen. Es vergeht einige Zeit und ich komme in ein Kapitel, welches über die Prüfung spricht. Es klopft: „Kann ich reinkommen?“ fragt Hope hinter der Tür, wartet jedoch nicht auf eine Antwort meinerseits. Ich packe das Buch beiseite und schenke ihr meine volle Aufmerksamkeit. „Linkle ist außer sich vor Wut, nicht auf dich, eher auf mich, dass ich es dir erzählt habe. Ich soll dir auch ausrichten, Via, dass morgen dein Training für die Prüfung beginnt. Allerdings ist morgen ein rein theoretischer Teil dran.“ Ich nicke: „Ich habe noch einmal eine Frage. Ich soll ein Königreich führen, habe aber nichts Königliches an mir, wie funktioniert das? Auch wie soll ich die Insel leiten, wenn ich das Volk nicht kenne?“ „Deine Fragen sind berechtigt“, sagt Hope, „Dein Volk wirst du sehr wahrscheinlich erst bei der Prüfung kennenlernen, da bis dahin ein strenges Training auf dich wartet, Freizeit wirst du nicht viel haben. Zu deiner zweiten Frage, du bekommst einen voll ausgelegten Kurs in allen königlichen Dingen und Linkle steht dir auch bei. Das wird dir jedoch erst alles nach der Prüfung beigebracht, da du diese mit 18 ablegst und erst frühestens ab 20 Jahren den Thron besteigen darfst. Ich hoffe deine Fragen haben sich jetzt soweit geklärt.“ Ich nicke nur und Hope wünscht mir eine angenehme Nacht und verschwindet. Ich nehme das Buch wieder in die Hand und fange von neuem an zu lesen. Ich lese das Kapitel recht schnell durch, doch etwas Spannendes gibt es nicht. Alles, was dort steht weiß ich schon von Hope. Ich werde langsam müde und lege mich schlafen. Ich habe die Augen schon geschlossen und bin auch fast eingeschlafen, doch eine Frage brennt mir noch auf der Seele. Wieso habe ich meine Eltern nie kennengelernt? Ich glaube ich kannte meine Mutter, also nicht Vanessa, sondern meine leibliche, doch genau sagen kann ich es nicht. Meinen Vater habe ich jedoch, denke ich nie kennen gelernt. Früher hieß es immer, mein Dad habe meine Mom verlassen, als ich auf dem Weg war und meine Mutter sei schwer alkohol- und drogenabhängig. Zumindest haben mir das Dave und Vanessa so erzählt. Jetzt wo ich mich genauer erinnere, haben die beiden auch etwas von einem Bruder erzählt, jedoch haben sie gesagt, dass er sich recht früh das Leben genommen hat. Wenn es um Linkle dabei geht, ergibt das ganze hier schon mehr Sinn. Ich sollte ihn vielleicht trotzdem nicht darauf ansprechen. Doch die Frage, was mit meinen Eltern in dieser Welt passiert ist, brennt mir unter den Nägeln.

Chapter 6

Ich werde durch ein Klopfen an meiner Tür wach. „Darf ich reinkommen?“, fragt Hope. Ich gebe lediglich ein verschlafenes „Ja“ von mir und schon geht die Tür auf. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich dachte mir ich berichte dir etwas, wie dein Tag heute aussehen soll.“ Ich nicke ihr zu und sie fährt fort: „Also erst einmal gibt es führ dich Frühstück, jedoch ohne Linkle und mich. Er hat was zu erledigen und ich muss mich auch noch um etwas kümmern. Nach dem Essen geht es für dich gleich weiter. Du wirst im Speisesaal abgeholt. Dir wird ein Wächter zugeteilt, der dich im theoretischen Teil unterstützen wird. Ich werde dich dann ab einen bestimmten Teil auch unterrichten. Das wird heute so dein Tag.“ „Ich habe verstanden“, sage ich und Hope bewegt sich schon in Richtung der Tür, als ich sie noch einmal aufhalte. „Ich habe noch eine Frage zu meinen Eltern. Ich wollte dich fragen, da ich Linkle nicht damit belassen will.“ „Ich kann dir nicht viel zu ihnen sagen, nur dass dein Vater ein sehr gütiger Herrscher war und beide von einen auf den anderen Tag verschwunden sind. Warum und wohin weiß keiner. Nicht einmal Linkle.“ sagt Hope betroffen und sieht mich nicht mehr an. Das sind ihre letzten Worte, bevor sie aus dem Zimmer geht und die Tür langsam hinter sich schließt. Das ist nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe. Ich stehe auf und ziehe mich an. Anschließend gehe ich in den Speisesaal und esse etwas und lese weiter das wundervolle Buch „Die zauberhafte Geschichte von Veill“. Ich muss nicht lange warten, bis ein groß gewachsener, muskulöser Mann reinkommt. „Via, meine Hoheit. Ich bin Chavis. Ich bin der Wächter, von dem Ihnen Hope erzählt haben sollte.“ Ich nicke und er deutet mir, ihm zu folgen. Nach kurzem stehen wir in einer riesigen Bibliothek und ich setzte mich an einen großen Tisch. Chavis setzt sich mir gegenüber und beginnt zu reden: „Du weißt was dich in der Prüfung erwartet. Diese Tradition reicht schon Jahrtausende zurück und ist bis zu dir immer erfolgreich durchgeführt worden. Dein Training wird nicht so ausführlich werden wie bei deinen Vorfahren, doch wir hoffen das Beste“, Chavis macht eine Pause um mir die Chance zu geben, das Gesprochene zu verarbeiten. „Gut, jetzt zum Ablauf des Trainings und der Prüfung. Erst die Prüfung. Diesen Ablauf werde ich dir öfter erklären, da dieser verdammt wichtig ist und alles ausmacht. Den musst du auswendig kennen. Verstanden?“ Ich nicke: „Ja, ich habe verstanden.“ Chavis fährt fort: „Dein Volk wird dir zusehen. Du wirst in einen Nahtod ähnlichen Zustand gebracht. Dieser erfolgt ganz klassisch mit einem Schnitt durch deine Pulsader. Keine Sorge, der wird sofort versorgt, kurz bevor dein Sprung bevorsteht. Danach wirst du in deine menschliche Welt kommen. In der musst du nicht viel machen. Am besten verabschiedest du dich von deinen Freunden und auch Zieheltern. Diese können nicht mit in unsere Welt kommen. Sobald du breit bist wieder her zu kommen, in deine Welt, dann tu es. Wichtig ist, behalte immer den Schlüssel um deinen Hals bei den Sprüngen. Verstanden, das ist verdammt wichtig?“ „Ja“, sage ich. „Gut, gut, dann zu deinem Training. Erst werden wir den Ablauf immer wieder im Theoretischen durchgehen. In der Theorie wirst du viele Arten der Nahtoderfahrungen kennenlernen und welche sinnvoller als andere sind wirst du lernen. Sobald dies geschafft ist, wirst du springen. Der einzige Unterschied wird sein, dass du nicht wirklich springst, sondern nur viele Simulationen durchspielen wirst. Denke daran, dass dein Training nur ein Jahr geht und du deshalb nicht ewig Zeit zum Lernen hast.“ Es ist viel zu verarbeiten. „Ich habe verstanden“, gebe ich von mir. Chavis spricht weiter über die Prüfung und das Training und die Zeit vergeht.

Chapter 7

Oh und wie die Zeit vergangen ist. Ich habe viel trainiert und wenig von der Insel gesehen. Ich habe dem entsprechend auch nicht viele Menschen kennengelernt, nur ein paar Angestellte, das war’s. Der Teil mit der Theorie hat nicht so lange gedauert wie gedacht, im Gegenteil, ich habe schnell begriffen und auch alles behalten. In der Praxis hat es dann doch zu Anfang eher gehakt. Es war schwer für mich die Simulationen durchzustehen und mir Wege zu suchen, um den Sprung zu schaffen, ohne zu sterben. Chavis, Hope und Linkle sind recht zufrieden und zuversichtlich für morgen. Morgen, genau, morgen ist meine Prüfung. Ich bin recht früh ins Bett gegangen, konnte die erste Zeit nicht schlafen und bin entsprechend müde. Gerade begleitet mich Hope zu einem großen Platz. In der Mitte steht ein Stuhl auf den ich mich setzen soll. Jetzt sehe ich auch zum ersten Mal das Volk. Der riesige Platz ist voll und ich sehe schon gar nicht mehr das Ende. Ich setze mich auf den Stuhl und Hope geht zu Linkle, der etwas höher sitzt, als das restliche Volk. Chavis kommt auf mich zu und schneidet mir ohne große Worte die Pulsader auf. Ich habe Angst, das sieht man mir an. „Bleib ruhig, du schaffst das. Du warst klasse in den Übungen. Du schaffst das und denke immer daran, wir und unsere Welt sind geheim. Erzähle niemandem von uns.“ Das ist das Letzte, was ich höre bevor alles schwarz wird. Ich höre nur ein Piepen, mehr nicht. Meine Augen sind zu schwer um sie aufzubekommen. Nach ein paar Versuchen schaffe ich es. Ich liege im Krankenhaus. Neben mir schläft Dave auf einem Stuhl. Ich tippe ihn an, er schreckt hoch und sieht mich mit großen Augen an und läuft raus. Zurück kommt er mit einem Arzt: „Via, du bist wach“, sagt der fremde Arzt, „du lagst fast ein Jahr im Koma. Kannst du dich an den Tag erinnern?“ „Ich weiß nur, ich bin gefallen, in die Gleise, meine Freundin Mia war bei mir“, sage ich mit kratziger Stimme. Der Arzt nickt nur und geht mit Dave raus. Ich schlafe noch etwas und denke mir, ich will so schnell wie möglich zurück nach Veill. Die nächsten paar Monate verbringe ich noch im Krankenhaus und mache Physiotherapie, da mein Körper sich erst wieder an alles gewöhnen muss. Vanessa und Mia haben mich auch unzählige Male besucht, doch nur Dave ist immer geblieben. Der Tag, an dem ich nach Hause kann ist gekommen. Ich packe gerade mit Dave meine Sachen, als mir auffällt, dass die Kette mit dem Schlüssel weg ist. „Dave, hast du meine Schlüsselkette gesehen?“ frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf, ich bekomme Panik. „Ich brauche die, die ist verdammt wichtig für mich!“ schreie ich ihn an. „Ich glaube Mia hatte sie Vanessa gegeben, kurz nachdem man dich aus dem Gleisbett gezogen hat und ins Krankenhaus gebracht hat.“ spricht Dave ruhig mit mir. Ich nicke: „Okay.“ Wir packen die restlichen Sachen und gehen in Richtung Auto und fahren nach Hause. Zuhause angekommen überraschen mich Vanessa und Mia. Wir essen gemeinsam und während Mia von Dave heimgefahren wird, frage ich Vanessa nach meiner Kette. „Die müsste in deinem Zimmer liegen, auf deinem Schreibtisch“, erklärt mir Vanessa. Ich bedanke mich, wünsche eine gute Nacht und gehe hoch in mein Zimmer und gleich zu meinem Schreibtisch und suche die Kette. Doch ich finde sie nicht, ich durchsuche alles und bekomme langsam Panik, wo könnte die denn sein? Ich setzte mich frustriert auf den Boden vor meinem Bett und lege mein Gesicht in die Hände. Nach einer Weile möchte ich aufstehen und entdecke die Kette unter meinem Schreibtisch. Ich schnappe sie mir und atme erleichtert auf. Ich gehe duschen und lege mich mit einem Buch ins Bett und lese, bis ich einschlafe. Am nächsten Tag wache ich auf, ziehe mich an und lege mir die Kette um. Heute kehre ich zurück nach Veill. Ich schreibe zwei Briefe, einen an Vanessa und Dave und den zweiten an Mia. Da ich sie nicht mitnehmen kann, möchte ich mich noch richtig verabschieden. In beiden steht das gleiche, ich verabschiede mich von ihnen und hätte sie gerne mitgenommen, doch kann es nicht, da sie nicht sind wie ich. Sie sollen nicht traurig sein und ich werde sie alle bald besuchen kommen. Auch sage ich ihnen im Brief, dass ich sie lieb habe. Die Briefe packe ich in eine kleine Tasche und gehe runter, dort warten Dave und Vanessa schon mit Frühstück auf mich. „Ich habe dir heute einen Termin bei Mr. Smith gemacht“, bricht Dave das Schweigen, „Nach dem Essen fahre ich dich dort hin.“ Ich stöhne und verdrehe die Augen. Wie Dave gesagt hat, fahren wir auch schon nach dem Essen los. Dort angekommen verabschiede ich mich von Dave und versichere ihm, dass ich alleine zurechtkomme. Der Termin bei Mr. Smith verläuft eigentlich wie die anderen davor. Also ohne jeglichen Sinn. Nach meinem Termin fahre ich zur Post und gebe die Briefe ab. Dann steige ich in den Bus und fahre in den Wald. Im Wald angekommen laufe ich noch ein Stück bis zu einer hohen Brücke. „Hier werde ich springen, es ist nicht zu hoch und ich sollte es gut überleben um nach Veill zu gelangen“, sage ich mir laut vor, damit meine Angst etwas verloren geht. Ich lege meine Tasche und meine Schuhe ab und klettere über die Reling. Dort bleibe ich stehen und zögere. Ich habe Angst, doch dann denke ich an Linkle und die anderen, also Hope, Chavis und unser Volk. Ich drehe mich so hin, dass ich mit dem Rücken in Richtung Wasser stehe, schließe die Augen und lasse die Reling los. Ich stehe noch einige Sekunden so, bis ich mich nach hinten fallen lasse. Ich falle recht schnell und nichtmal eine Sekunde später, nachdem ich das Wasser durchdrungen habe, spüre ich einen stechenden Schmerz an meinem Hinterkopf und alles wird schwarz. Mein letzter Gedanke ist „Ich habe es geschafft, ich kann nach Veill.“

Chapter 8

Überall ist Blaulicht zu sehen, Fernsehteams und schockierte Menschen. Taucher ziehen das tote Mädchen aus dem Fluss und Vanessa beginnt zu weinen. Dave zieht sie in seine Arme und beginnt selbst zu weinen. Nachdem Via am Abend nicht nach Hause gekommen war und auch nicht bei Mia war, machten sich die Zieheltern große Sorgen. Sie war psychisch krank und dann noch der Vorfall mit den Gleisen. Das waren viele Hinweise, die keiner erkannt hatte. Der Psychologe hat kläglich versagt und Via als stabil eingestuft, dabei war sie doch veill. Da Vias leibliche Mutter schwer alkohol- und drogenkrank war, ist Mia mit ihrem älteren Bruder ohne den Vater groß geworden. Ihr Bruder kam mit der kleinen Via und der kranken Mutter nicht klar und nahm sich das Leben. Vorher sorgte er noch dafür, dass Via in eine gute Pflegefamilie kommt. Vanessa und Dave wussten von Anfang an über Vias vorheriges Leben bescheid und schickten sie deshalb zur Therapie. Doch der Arzt hat ihr Trauma nicht erkannt. So lebte Via und träumte sich mit der Zeit ihre eigene Welt zusammen „Veill“. Die zwei neuen Schüler der Klasse Linkle und Hope, halluzinierte sie sich auch in ihre kleine Insel. Auch hat sie nie eine Nachricht auf ihr Handy bekommen zum Geburtstag. Die Kette hatte Via schon ein paar Jahre. Die Welt nahm bald Gestallt an. Alles setzte sich in Vias Kopf zusammen, doch leider nicht im realen Leben. Beim ersten Mal brach einfach nur etwas Unruhe in der Subway aus, dies nutzte Via und sprang. Keiner schubste sie. Es ist alles nur in ihrer Fantasie passiert, alles zurückzuführen, auf ein Trauma, welches in ihrer frühen Kindheit passierte. Nachdem Via nun geborgen wurde und es als Selbstmord angesehen wurde, organisierten Vanessa und Dave eine wunderschöne Beerdigung. Mia war am Boden zerstört. Zwei Tage nach der Beerdigung bekamen Mia, Dave und Vanessa die Briefe.

 

Liebe Vanessa, Lieber Dave und Liebe Mia

Ich verabschiede mich in diesem Brief, doch es ist kein Abschied für immer, nein ich komme euch bestimmt noch besuchen. Seid nicht traurig, ich hätte euch gerne mitgenommen, doch es geht nicht. Ihr seid nicht so wie ich. Ich habe euch unglaublich doll lieb. Danke, dass ihr immer da wart und auf mich aufgepasst habt. Es soll kein langer Brief werden, da ich ja wieder komme. Ich will und muss meine Bestimmung erfüllen und hoffe ihr lebt gut weiter auch ohne meine ständige Anwesenheit. Das ist kein Abschied auf Dauer, ich habe euch lieb und bis bald.

In Liebe VIA

 

 

 

(Veill ist isländisch und bedeutet instabil und bezieht sich auf den psychischen Zustand)