Als wir uns wiedersahen
von Farmata Ba
Wir waren acht Jahre alt, als wir uns das erste Mal sahen. Mit zehn Jahren wurden wir beste Freunde. Mit Zwölf verliebten wir uns ineinander. Mit 15 gingen wir eine Beziehung ein. Mit Achtzehn zogen wir aus und mit 22 sah ich, wie meine Jugendliebe, die ich immer noch liebte, einer anderen Frau das Ja-Wort gab.
Elyia.
Ihn konnte ich nie vergessen.
Sommer 1989. Elyia und ich haben uns zum ersten Mal im Kinderheim kennengelernt. Ich erinnere mich, wie ich wie fast jeden Tag im Baumhaus saß und malte, als sich eines Tages ein wunderschöner Junge mit grünen Augen und braunen Locken von hinten anschlich und mich erschreckte. „Wer bist du und was machst du hier?“ Der Junge sagte nichts, er starrte mir nur in die Augen. Ich versuchte es erneut „Ich heiße Aurelia und wie heißt du?“ Es kam immer noch keine Reaktion. Als ich nochmal zum Sprechen ansetzen wollte, wurden wir von Eloise, einer der Betreuerinnen unterbrochen. Sie kletterte ins Baumhaus, guckte erst zu dem Grünäugigen und dann zu mir: „Aurelia, das ist Elyia. Er wohnt ab heute bei uns. Elyia ist besonders. Er ist stumm, das heißt er kann hören was du sagst, er kann aber nicht sprechen“. Ich verstand nun warum er mir nicht geantwortet hat. „Eloise ich glaube, er kann auch nicht Hören, er hat meine Frage nicht mal versucht zu beantworten“. Ich sah erstaunt zu, wie Elyia an Eloise gewandt seltsame Bewegung mit seinen Händen machte. Unsere Betreuerin drehte sich lächelnd zu mir. „Elyia hat mir gesagt, dass er dich sehr gut verstanden hat. Er wollte einfach nur nicht mit dir reden“.
Das war meine erste Begegnung mit Eylia. Zwei Jahre später waren wir beste Freunde. Ich weiß gar nicht wie es passierte. Wir haben angefangen, zusammen beim Essen zu sitzen, waren zusammen im Bauhaus. Als ich eine Frage an ihn hatte, hab ich sie gestellt und er hat mir auf einem Block seine Antwort geschrieben. Einzelne Wörter und einfache Sätze konnte ich sogar schon verstehen. Elyia und ich gingen gern zu verschiedenen Orten, wo wir uns stundenlang unterhielten. Ich erfuhr bei einem der Gespräche, dass Eylia ins Kinderheim kam, weil sein Vater nicht damit klar kam, dass sein Sohn stumm war.
Ich liebe dich, Aurelia.
Einen Satz, den ich bis jetzt nur in Gedichten las. Ich hatte schon seit mehreren Jahren Gefühle für ihn, hätte aber nie gedacht, dass Elyia auch so empfinden würde. Er beichtete mir seine Liebe im Baumhaus, da wo wir uns zum ersten Mal trafen.
Ab hier fing unsere Beziehung an. Elyia war mein erster Freund, mein erster Kuss und meine erste Liebe. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen wurden Monate und aus Monaten wurden genau drei Jahre. In den drei Jahren habe ich meine Gebärdensprache perfektioniert, es war mittlerweile einfach zu kommunizieren. Wir lebten immer noch im Kinderheim, wir wussten beide, dass wir dort nicht für immer leben konnten. Wir dachten aber nicht an Morgen, sondern ans Hier und Jetzt. Wir ahnten nicht, dass wir grade unsere letzten Erinnerungen erlebten.
Der Geburtstag von Elyia kam, und so sehr ich versuchte mich zu freuen, gelang es mir nicht. Ich wusste, er würde bald ausziehen. Ich wollte in Elylia´s Zimmer gehen, um ihn zum Geburtstag zu gratulieren, als ich aber reinblickte, sah ich nur ein aufgeräumtes und leeres Zimmer. Verwirrt sah ich mich um und verstand nicht ganz was hier vorging. Ich suchte Elyia im ganzen Kinderheim, fragte die anderen Kinder und die Betreuer, doch niemand hatte ihn gesehen. Verzweifelt ging ich zurück in das Zimmer von Elyia, setzte mich auf das Bett und sah dann neben mir einen Brief, auf dem mein Name groß draufstand. Neugierig fing ich an den Brief zu lesen:
Aurelia,
Wenn du den Brief liest, bin ich nicht mehr hier. Ich weiß es ist egoistisch einfach so zugehen, aber ich wollte den Abschied für uns beide einfacher machen. Die letzten zehn Jahre, die wir zusammen verbrachten, waren das Beste, das ich erleben durfte. Wir haben oft über unsere Träume gesprochen, wie ich nach Boston ziehe und du nach Birmingham, wir haben so im Jetzt gelebt, dass wir vollkommen unsere Zukunft vergessen haben und wie unterschiedlich sie eigentlich sind. Ich war lang genug mit dir zusammen, um zu wissen das du deinen Traum aufgegeben hättest, um mit mir zusammen zu sein. Du hast mir mit zehn erzählt, wie gern du deine eigene Bäckerei eröffnen würdest, mit all den Rezepten, die dir Eloise beigebracht hat, es sollte irgendwo in einer kleinen Ecke in Birmingham sein. Wenn es das Leben so will, treffen wir uns nochmal, wenn nicht, kommt etwas Besseres. Verschwende deine Zeit nicht dran zu denken, was noch hätte kommen können, sondern was wir hatten.
Elyia
In dem Moment realisierte ich, dass alles was wir hatten nun vorbei war.
Vier Jahre Später
Ich war grad wie fast jeden Tag dabei in der Bäckerei, die Backwaren vorzubereiten und sie an der Theke aufzustellen. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich es schaffen würde, eine Bäckerei in Birmingham zu eröffnen, die so gut besucht wird, hätte ich der Person ins Gesicht gelacht. Ich hatte alles was ich mir früher gewünscht habe. Alles außer Elyia.
Ich wünschte ich könnte behaupten ich wäre über ihn hinweggekommen. Manchmal fragte ich mich, wie das Leben wohl wäre, wenn wir noch zusammen wären. Ist er grade glücklich? Hat er eine Freundin oder sogar eine Frau? Denkt er auch so oft an mich, wie ich an ihn denke?
Während ich tief in Gedanken war, kamen die anderen Kollegen langsam auch an.
Nach einer Weile, kamen die ersten Kunden rein. Ich befand mich in der Backstube, um weitere Zimtschnecken vorzubereiten.
Einer meiner Angestellten war krank und hatte sich abgemeldet, also habe ich mit dem Backen aufgehört und habe angefangen Kunden zu bedienen.
Während ich am Bedienen war, entdeckte ich Augen, die ich überall erkennen würde: Eliya!
Ich verstand nicht ganz. Ich habe schon oft drüber nachgedacht, wie es sein würde wenn wir uns wieder treffen würden. Der Moment war anders, als ich es mir hätte vorstellen können. Ich wollte mich mit schnell schlagendendem Herzen auf den Weg zu ihm mache. Doch als ich fast hinter ihm stand, sah ich, dass ihm eine Person gegenübersaß. Als ich die Person genauer betrachte, sah ich eine wunderschöne Frau mit braunen lagen Haaren. Sie hatte wunderschöne blaue Augen. Sie unterhielten sich. Sie schienen glücklich zu sein. Als ich grad dabei war mich umzudrehen, um zu flüchten, hob die Frau ihre Hand und holte mich zu ihr. Ich guckte panisch um mich herum, mit der Hoffnung jemand anders könnte sie bedienen. Meine Hoffnung wurde zerstört, als ich weit und breit niemanden sah. Langsam ging ich zu den beiden rüber.
Ich vermied es Elyia in die Augen zu sehen, als ich aber merkte wie er mich ansah, versagte ich und schaute ihn an. „Elyia. Wir haben uns lang nicht mehr gesehen. Wie geht es dir?“
Ich versuchte es entspannt rüberzubringen. Ich merkte aber dennoch, wie meine Gefühle die ganzen Jahre über nicht weniger wurden und wie sehr es mir wehtat, ihn mit einer anderen Frau zu sehen.
„Aurelia, mir geht es gut und dir? Es freut mich zu sehen, dass du es geschafft hast, deine Bäckerei zu eröffnen.“
Bevor ich anfangen konnte zu sprechen, wurde ich von der Frau unterbrochen. „Hey, mein Name ist Yasmin, Woher kennt ihr euch?“.
Elyia antwortete ziemlich schnell. „Wir kennen uns von früher. Wir waren im Kinderheim beste Freunde.“
Ich wartete drauf, dass er erzählte, dass wir damals zusammen waren. Es kam nichts. Yasmin fing wieder an zu reden: „Das hört sich süß an. Elyia wenn ihr früher beste Freunde wart, solltest du sie zur unserer Hochzeit einladen!“
Autsch.
Elyia mied es mir in die Augen zu schauen. Ich wich seinem Blick aus, denn ich war den Tränen nah. „Klar ich bin gern dabei, ihr müsstet mir nur die Daten geben.“ Während Yasmin mir auf einem Zettel alle wichtigen Informationen aufschrieb, blickte ich in Elyia´s Richtung. Elyia schaute weg. Hier hatte ich meine Antworten auf meine Fragen. Er schien sehr glücklich zu sein. Er hatte eine Freundin, so wie es aussieht sogar bald eine Frau. Bald wahrscheinlich auch noch ein Kind. Mir fiel schon auf dem Weg zum Tisch ihr großer Babybauch auf. So wie es scheint bin ich die einzige die an ihn dachte, er hingegen schien schon lange hinüber hinweg zu sein.
„Hier hab ich die Daten aufgeschrieben, es würde uns freuen wenn du kommen würdest“, meinte Yasmin glücklich. Ich nahm den Zettel und bedankte mich, danach fragte ich, was sie zu Essen haben wollten. Ich schickte eine andere Kollegin hin, um ihnen die Sachen zu bringen und das Geld anzunehmen. An diesem Tag verließ ich die Arbeit früher. Den ganzen Tag verbrachte ich damit, über Elyia und sein Verhalten nachzudenken. Genau so wie am nächsten Tag und die weiteren Tage.
Dann kam der Tag der Hochzeit.
Ich überlegte stundenlang, ob ich mir das wirklich antun wollte, entschied mich aber schließlich dafür. Während ich mit dem Taxi und einem Geschenk zur Hochzeit fuhr, dachte ich mir, welches Glück Elyia hatte, Yasmin zu haben. Sie war eine sehr nette und hübsche Frau.
Als ich im Hochzeitssaal war, war der Raum voller Menschen, die ich nicht kannte. Zuerst brachte ich das Geschenk zu einem Tisch. Ich fühlte mich ein wenig unwohl und verloren. Während ich an einem Tisch alleine saß, wurde der Saal plötzlich leise. Ich drehte mich nach rechts und sah, wie Elyia in einem maßgeschneiderten, schwarzen Anzug den Gang entlang schritt. Yasmin stand schon beim Podium, in einem wunderschönen weißen Kleid und einer Blume in ihrer rechten Hand. Sie sahen beide wunderschön aus. Zuerst fingen die Eltern von Yasmin an zu reden, dann die Freunde von Elyia und zum Schluss der Pfarrer. Als der Pfarrer fragte, ob Elyia die Frau annehme und auch andersrum, antworten beide mit Ja.
Autsch
Nach der Zeremonie wurde getanzt, gelacht und viel geredet. Ich fühlte mich immer noch verloren und machte mich langsam bereit um zu gehen. Ich verabschiedete mich von dem Brautpaar und ging zum Ausgang. Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, erschrak ich. Ich drehte mich um und sah Elyia, er drückte mir einen Brief in die Hand. „Öffne ihn erst wenn du zuhause bist.“
Ich nickte verwirrt, verabschiedete mich schnell und ging dann. Als ich zuhause auf dem Sofa saß, öffnete ich den Brief.
Aurelia,
Der Grund warum ich Yasmin heirate, ist nicht weil ich Sie liebe, sondern weil sie ein Kind erwartet. Mein Kind. Ich habe dir im Kinderheim erzählt, dass ich selber keinen Vater hatt. Und ich will nicht, dass mein Kind in denselben Verhältnissen aufwächst. Denk dran, ich liebe dich seit ich zwölf bin und werde dich für immer lieben. Ich hoffe du findest einen guten Mann, der dich so lieben wird, wie du bist.
Alles Liebe, Elyia
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