von Marke Neu.
Hach,
Ich erwach
An einem schönen Frühlingsmorgen
Heut bin ich nicht
Erpicht, jemanden zu ermorden
Nein, heute bin ich bloß geleitet von Liebe
Überwinde alle meine inneren Triebe
Denn unbedingt muss ich meinen Schwarm
Heut erblicken
Wenn nicht, bekäme ich Magen-Darm,
Könnt gar ersticken
Und mit Glück, nach gecharmetem Umwickeln
Betritt sie mein Schlafgemach, wo wir dann ———
Doch was ist das? Wieder diese lieblichen Töne!
Das Stück, das ich seit Wochen schon im Radio höre!
Von einem gewissen Coleridge-Taylor,
Das Klarinettenquintett
Die grandiose Miss Mayor,
Am Blasinstrument,
Und ihr Klang so schön wie ein Sonett…
Ich male mir aus, wie‘s wohl wäre,
Mit ihr zu reden
„Denk nicht mal dran, du hast bloß die Ehre sie zu verehren!“
Oh, hör doch auf mir stets an den Nerven zu sägen!
Sie wird sich bestimmt nachher auf mein Sofa bequemen
„Pah, von wegen!
Solch Werk lässt sich nicht ohne Vorarbeit verrichten
Sieh in den Spiegel, um dir dein Gesicht herzurichten!
Oder besser
Gesagt, schmink mal deine hässliche Fresse
Die nichts ist im Vergleich zum Antlitz deiner Comtesse“
Da hast du recht, hier etwas Lippenstift und Mascara
Verhilft mir zu Aura, auf einem Level mit dem Dalai Lama
Ich hab Highlights gesetzt, und bin von weitem zu sichten
Kein Ausweg, sie muss mich in der letzten Reihe erspicken
Die Vorfreude steigt stetig auf das Konzert am heutigen Abend
Versuche vergeblich bis dahin noch etwas zu schlafen
Doch dazu bin ich gerade absolut nicht in der Lage
Überlege, was ich sonst noch zu erledigen habe:
Schwitzend brüte ich über der Bedeutung des Wortes „Kabale“
Und erwische mich beim Abknabbern
Meines linken Ringfingernagels
Einer Beschäftigung, der ich angewidert sofort wieder entsage
Eine Verwechslung, schließlich heißt das nicht: „KANNIBALE“
Nach langem
Ausharren
Ist meine Zeit nun endlich gekommen ich verlasse
Das Haus, vom Liebesleiden etwas benommen
Angetrieben von einer klitzekleinen Dosis Koka
Bewege ich mich schnurstracks in Richtung Staatsoper
Doch meine Erfolgsspur bricht ab dank der verpassten U-Bahn
Macht nichts, dann nehm‘ ich stattdessen halt ein Uber
Mir gegenüber
sitzt wohl eine ausgesprochen alte Oma
Unscharf ihre Miene, doch sie duftet nach Rosenaroma
Bei näherem Betrachten erkenne ich ihre Abendgarderobe
Und ganz ohne Unterstützung
Durch Bespitzlung
Kombiniere ich die Oper als Ziel ihrer Sitzung
„Kompliment, meine Dame, ich mag Ihre Hose“,
Wage ich als zaghafte Heranprobe
Doch warte, seit wann trägt denn eine Frau eine Hose?
„Probier‘s gar nicht erst, dies ist bloß
die alte Chose:
Du bist eine Tunte und willst, dass ich dich liebkose!“
Und anstatt einer Rose
Bekomme ich zum Abschied ein Veilchen
Nach einem Weilchen
Sehe ich in den Spiegel
Aua, jetzt hat dein Gesicht nun wirklich ein Siegel
Kann ich mich so wohl noch blicken lassen?
Wird Miss Mayor so nicht eher über mich lachen?
Papperlapapp, was ist denn das für ne Kacke?
Das ist genau das, was ich an dir hasse:
Anstatt einmal etwas Neues anzufassen
Benimmst du dich, als hätte dein Phallus eine Macke!
Sieh es doch positiv, dein Face erregt jetzt weit mehr Attention
Reizender erscheinen nur die Muppets Jim Hensons
Es reicht
Noch einmal deinen Lidstrich nachzuziehen
Und nun sei
Dir sicher, Miss Mayor wird dich lieben
Doch nun schnell, die Nachbarn sind schon ausgestiegen
Rasch rein, um die letztbesten
Restplätze
Zu kriegen
Aber, wenn man genau überlegt, habe ich noch zehn Minuten
Genug Zeit, um noch in mindestens ein Glas hinein zu luken
Da
An der Bar
Gibt es noch ein paar
Fläschchen
Rotkäppchen
Stell dir mal vor, du stehst an Großmutters Bettchen:
Mit ein paar Sektchen
Im Därmchen
Wird sie dich sicher noch mehr verhätscheln!
Also gieße ich saufgeil
den Schaumwein
Hinab in den Rachen
Stecke dem Barmann einen
Schein in den Nacken
Stoße mit meinem
Nachbarn an
für übernächstes Neujahr, im Pony auf Sylt
Bis ich nicht mehr kann,
und ich meine Freude
Beteuernd
den Barkeeper anrülps‘
Doch dabei die Kotze meinen Magen entsäuernd
meiner Röhre entflößt
Nun werde ich gestützt
Zur Toilette geleitet
Und oh, was sich da vor meinen
Augen erbreitet!
Ein Wrack, das sich in Suff
Getränkt und im Schnuff
Gesuhlt hat,
Das sich sogar wie eine Schwuchtel geschminkt hat!
Zu allem Übel erblicke ich den gelben
Brechfleck
Der sich weit
Erbreitet
auf meinem weißen
Stretch-Hemd
Herzlich danke ich dem Herrn,
Der mir hilft mich abzuwaschen
Ich denk, so schnell werd
ich mich wohl nicht mehr beim Trinken erhaschen
Doch was ist das? Wieder diese lieblichen Töne!
Das Stück, das ich seit Wochen schon im Radio höre!
Von einem gewissen Coleridge-Taylor,
Das Klarinettenquintett
Die grandiose Miss Mayor,
am Blasinstrument,
Und ihr Klang so schön wie ein Sonett…
Aber heißt das etwa, das Konzert hat schon begonnen?
Der Blick auf die Uhr ist noch immer etwas verschwommen
Hastig stürze
ich durch die Türe,
tappe durch das Foyer
Bis ich aus Versehen
Jemanden berühre,
und nicht glauben kann, wen ich da seh
„Entschuldigen Sie die Störung“,
Nuschelt Miss Mayor an mir vorbeigehend
Und bemerkt zum Glück nicht mehr die Rötung,
Die in meinem Gesicht steht
Ich seh
Ihr nach und frage mich konsterniert:
„Wie kann es angehen,
Dass man ohne sie musiziert!?“
Hat man Miss Mayor gefeuert?
Etwa ihre Stelle erneuert?
Hat sich ein Verwandter
Mit dem Flugzeug in ein Hochhaus gesteuert?
Oder hatte sie gar Probleme mit Steuern?
Egal warum, ich kann euch beteuern
Dass ich‘s Geheimnis lüften werde, auf ins Abenteuer!
Ich werfe alle meine Pläne Backbord
Und verhindere somit womöglich einen Mord
Ich würde auf die Heldenstufe gestellt
Stünde in der Zeitung, sogar in der Welt!
Ich verlasse das Konzerthaus, voller Euphorie
Alle meine Zweifel haben Amnesie
Ich frage mich: welchen Weg sie ergreift
Über Stock, über Stein,
In den Palast eines Scheichs?
Hastig wandert sie durch die Straßen
Der Großstadt
Kauft sich bei Dunkins einen saftigen Doughnut
Nachdem ich ihn gefragt hab,
Sagt der Verkäufer, sie wollte Nuss-Nougat
Doch sie bekam etwas Anderes, denn sie hatten nur noch „Gezuckert-Gepudert“
Und weil ich alle Hinweise klinisch erfasse
Bestelle ich dasselbe, obwohl ich es hasse
Ich beiße hinein und spucke es in die Gasse
Und auf, dass der Bäcker es zukünftig lasse,
Lege ich ihm noch einen Schein in die Kasse
Abrupt bleibt Miss Mayor stehen:
Was ist geschehen?
Ob sie wohl einen Geist gesehen?
Auf jeden Fall zückt sie ihr Mobiltelefon
Geh hin und erfasse die Information!
Angestrengt versuche ich der Sache
Zu lauschen
Doch dank der Straße
Höre ich nur weißes Rauschen
Trotzdem es dröhnt, wie ein Bataillon
Auf Kriegsfuß
Handle ich im Sinne meiner Mission
Und folge Miss Mayor hinab in den Limbus
Nun stehen wir auf der Plattform der U-Bahn-Station
Und warten auf den Zug
Doch schon bald erkenne ich nahende Motion
Ich betrete ihn einen Wagon
Hinter dem ihren
Verstecke mich im Schatten eines rothaarigen Iren
Da ist sie schon wieder, die faule Feige!
Sei keine Memme, tritt dir in die Beine!
Du wirst dich jetzt direkt zu ihr hinsetzen
Sie beißt nicht, wird dich schon nicht verletzen
Ich vertraue dieser gewissen
Stimme in meinem Kopf
Und trete aus dem Schatten des Iren
Mit dem roten Schopf
Schreite stark beflissen
Gen Miss Mayors blondiertem Zopf
Da sitzt sie, auf den bepissten Sitzen.
Aus meiner Kleidung tropft
Eine warme Körperflüssigkeit,
Doch ich bin entschlossen:
So eine Oberflächlichkeit
Dämmt deinen Trieb nicht im Mindesten ein!
Ganz im Gegenteil,
Etwas Feuchtigkeit
Lässt dich bestimmt noch sehr viel frischer erscheinen!
Und so nehme ich den Platz gegenüber Miss ein.
Nach einer Zeit
In der jeder von Pein
Berührt schweigt,
Bricht meine Dame erfolgreich
Den Frieden:
„Haben Sie ein Problem? Was soll das Starren?“
„Es tut mir leid, doch ich konnt‘ nicht mehr harren.
Mir brennt da etwas sehr auf dem Herzen:
Sie heute nicht gehört zu haben,
bereitet mir Schmerzen“
Kühl antwortet sie:
„Ich spiele nächsten Monat in der Philharmonie
Doch leider erfolgt der Eintritt nur für die hiesige High Society“
In mir wächst Verzweiflung:
„Bekomme ich bitte eine persönliche Einladung?
Für Sie empfinde ich reine Verehrung,
Und vertrage absolut keine Entbehrung“
Miss rollt mit den Pupillen: „Entschuldigung,
Dass Ihr Abend nicht nach Prämisse verlief
Wenn Sie wollen, erhalten Sie ein Autogramm, sogar eins, das ich selbst unterschrieb“
„Nein, das reicht mir nicht, ist auf keinen Fall genug!
Ich muss Sie hautnah erfahren, ansonsten wäre es Betrug!
Wie ist es mit den anderen Fahrgästen in diesem Wagen?
Ich schlage vor, Sie lassen sich von Miss überragen!“
Doch mein Vorstoß
stößt bloß
auf Missachtung
Peinlich berührt rücken sie auf der Bank rum
Flehend
sehe ich zum Herrn hinüber,
Den, der mir sitzt gegenüber
Der, als sich unsere Blicke treffen
Stoppt mich nachzuäffen
Und stattdessen
Seinen Blick vertieft in einen Reiseführer der Stadt Essen
Alle müssen sich ihr Lachen verkneifen
Und ich fange langsam an, zu begreifen
„Ihr seid doch alle nur lebendige Leichen
Das Leid
Anderer Menschen seid
ihr bereit
zu verspeisen
Doch könnt ihr das begreifen?
Könnt ihr verstehen, was Kunst ist, was Liebe bedeutet?
Wahrlich seid
ihr eine armselige Meute…“,
Ruf
Ich aus und spuck
dem Reise-Herrn vor den Fuß
Ich drehe mich um, um zu ersuchen,
Was Miss Mayor wohl sagt, Doch –
Scheiße, sie ist ja verschwunden!
Ohne etwas zu verlauten, ist
Miss Mayor ausgestiegen
Ich denke, dass es nun aus ist,
Werde eh nicht mehr siegen
Doch direkt sagt man mir, ich solle blicken, nach vorn,
Sei Zeit für den Aufstieg
So ein Aughieb
Ist ein Ansporn.
Sei schnell, damit du sie noch drankriegst!
Hechelnd sprinte
Ich ihr nach, als wär ich ein Dobermann,
Und nach einer Weile gewinne
Ich fast die Oberhand
Bin ganz nah an ihr dran,
Doch dann—
Wieder weg, verdammt…
Denn hastig
Steigt sie in den Stadtbus
zum Universitätsklinikum
Nun ruf ich ein Taxi:
„Fahren Sie zum Krankenhauscampus –
zum Auditorium!“
„Ey, nur zu Ihrer Information:“,
Sagt der Fahrer in leicht genervtem Ton,
„Eigentlich ist das nicht mein Territorium.
Da zahlen Sie dann extra, das wissen Sie schon?!“
„Ja, ja“, rede ich, doch in meiner Stimme spricht Hohn
Ich wandle mich hier g‘rad zum Mafioso um,
Bevor ich den Knecht da vorn
Gebührend entlohn!
Boom!
Was ist das!? Das war kein lieblicher Ton.
Auch kein Glockgeschoss und auch kein Colt
Nein, nachdem ich mich wieder zusammensammle
Bemerke ich: Wir wurden von nem VW gerammelt
Höre kurz, wie der Fahrer noch was stammelt,
Dann abbricht. Er ist auf dem Hinterkopf gelandet
Ich kannte ihn nicht, doch bin dennoch erleichtert
Schaue aufs Navi und seh, dass ich mein Ziel erreicht hab
„Willst du sie haben, brauchst du Narben“,
Sagt eine alte Weisheit
Ich betracht im Spiegel meine Schrammen
Und geb mir selbst ein High Five
Ja, ich fühl mich fresher denn je —
Bereit, mich nach meiner Miss umzusehen!
Da ich über die Hospitalweite keinen Überblick habe,
Frage ich die Dame,
Da,
an der
Annahme:
„Ich suche nach einem Mädchen mit Klarinette im Gepäck
Groß ist sie, aber trägt
An Masse an Speck“
„Mit der Frage sind Sie heut schon der Zweite
Mann, wie ich Sie um dieses Schätzchen beneide…
Der Regeln halber muss ich sie dennoch einmal fragen:
Sind Sie und Mrs. Mayor Verwandte?“
„Ja, ich bin ihre Tante.“
„Dann schauen Sie doch mal auf Chambre Quarante“
——— Ich verstand kein Wort.
„Ich dachte, ihre Familie käme aus Lyon?“
„Oh, oui, oui, oui, Pardon,
isch `atte nür kürz etwas ihm Öhr“
Nach kurzem Misstrauen verzeiht sie mir mein Malheur
„De rien, sowas kommt halt mal vor!“
Mir tropft der Schweiß von der Stirn, denn sie öffnet das Tor
Nun flaniere ich durch die Korridore
Und weiß nach wie vor nicht, wo ich eigentlich hinsollte
Vielleicht ist die Reise hier auch wirklich beendet
Bedenke
ich, als ich meine Geliebte durch ein Fenster erkenne
Sie sieht so schön aus wie immer
Habe schon die Klinke im Griff, geh gleich ins Zimmer
Doch ich zögere, als sie etwas hochhält wie Rafiki
Und werde sprachlos, als ich seh, es ist ein Baby.
Ich seh einen Mann, der scheint,
als wäre er der Vater
Doch seltsamerweise
liegt nicht Miss Mayor auf dem Lager
Es erklärt sich, als sie sich übers Krankenbett bückt
Und mit strahlendem Lachen die darauf
liegende Frau
küsst
Doch was ist das? Wieder diese lieblichen Töne!
Das Stück, das ich seit Wochen schon im Radio höre!
Von einem gewissen Coleridge-Taylor,
Das Klarinettenquintett
Die grandiose Miss Mayor,
am Blasinstrument,
Und ihr Klang schön wie ein Sonett…
Steh auf, wenn du am Boden bist,
Flüstert eine Stimme, doch gewiss
Könnte ich dich am ehesten vermissen
Ich sinke nieder und lausche den Tönen
Und vergieße dabei leise
Meine Tränen
Kommentar schreiben